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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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verschont. Selbst der Parteivorsitzenden Alfred Bitter, Albi genannt, fand vor seinen Augen wenig Gnade. Ein politisches Fossil wie Albi passe nicht in die heutige Zeit, hatte der Ministerpräsident seinem Regierungssprecher mehr als einmal kundgetan. Keiner kannte die wahren Gedanken des Regierungschefs so gut wie Wagner. Das Vertrauen adelte ihn, stattete ihn mit Macht aus, die für einen Beamten ungewöhnlich war. Wagner wusste damit umzugehen. Dass sein launischer Chef ihm jederzeit das Vertrauen entziehen konnte, war ihm immer gegenwärtig.
    Einer der Gründe, weshalb Wagner das uneingeschränkte Wohlwollen seines zu cholerischen Ausbrüchen neigenden Vorgesetzten genoss, war neben seiner uneingeschränkten Loyalität die Tatsache, dass er, obwohl selbst Journalist, die verbalen Attacken gegen die „Wadenbeißer, Schmeißfliegen und Vollblödidioten“, wie der Ministerpräsident Journalisten zu bezeichnen pflegte, mit Himmelsgeduld ertrug.
    Und dann waren da noch die ständigen Affären seines Chefs. Von Wagner wurde erwartet, dass er Ohren und Augen offen hielt und die Feuerwehr spielte. Niemand sollte davon erfahren. Anfänglich hatte der Regierungssprecher sich darüber amüsiert, dann war Ernüchterung eingetreten. War es Torschlusspanik, die den Endfünfziger antrieb? Die Ehefrau schienen die Eskapaden ihres Mannes nicht zu stören. Die vorbildliche fast dreißigjährige Ehe war ohnehin nur eine Fassade, die für die Öffentlichkeit ihren Sinn erfüllte.
    Die Ermordung eines hohen Beamten der Staatskanzlei stellte den Regierungssprecher vor völlig neue Herausforderungen. Und ausgerechnet heute fühlte er sich hundsmiserabel. Kopfschmerzen und Schwindel vernebelten sein Hirn.
    Der Absacker am Vorabend mit seinem Freund Max Hollmann von der
Allgemeinen Niedersachsenzeitung
war außer Kontrolle geraten. Erst weit nach Mitternacht war er nach dem Verzehr von Gänsebrust mit Rotkohl und Klößen, heruntergespült mit anderthalb Flaschen Rotwein und zwei Weizenkorn, nach Hause gewankt. Eigentlich war Wagner auf Diät, er musste abnehmen. Immerhin hatte er dieses Mal drei volle Tage durchgehalten, bis gestern Abend. Jetzt hämmerte sein Kopf, als ob drei Presslufthammer gleichzeitig auf ihn einschlagen würden.
    Seinem Freund ging es an diesem Vormittag vermutlich auch nicht besser. Sonst wäre er längst hier aufgeschlagen. Wenn irgendwo im Großraum Hannover etwas los war, das mit Politik zu tun hatte, Hollmann stand auf der Matte. Und die Ermordung eines ranghohen Regierungsbeamten war ein höchst politischer Vorgang. Allein die Tatsache, dass Heise die Politische Abteilung des Regierungschefs geleitet hatte, gab Anlass zu Spekulationen. Spekulationen, die die Regierung gerade jetzt nicht gebrauchen konnte.
    Die Arbeitslosenzahlen waren im letzten Halbjahr gegen den Bundestrend gestiegen, das Haushaltsloch auch und die Lehrergewerkschaften spielten verrückt. Von den Frauenverbänden unter Führerschaft der schrillen Peters, die immer lautstärker die Quote auf allen Führungsebenen von Politik und Wirtschaft forderten, ganz zu schweigen.
    Das jüngste Techtelmechtel seines Chefs mit der schönen Frau Stigler aus dem Vorzimmer von Alexander Heise gehörte auch nicht gerade zu den Erfolgsmeldungen der Landesregierung. Noch hatte kaum jemand von der Sache Wind bekommen, trotzdem war das Ganze mehr als delikat. Der Vorfall am Rande der vorgezogenen Nikolausfeier im Gästehaus der Landesregierung war zweifelsohne schlagzeilenträchtig. Sex mit einer Untergebenen, dazu fast dreißig Jahre jünger, die Medien würden sich mit Wonne darauf stürzen.
    Der Chef hatte abgewiegelt. „Ich hatte zu viel getrunken und wollte mich kurz hinlegen. Wozu ist das Appartement im Gästehaus gut, wenn nicht für solche Fälle, Wagner? Die Stigler ist eine gestandene Frau und freiwillig mitgekommen. Sie wird wissen, was sie tut. Außerdem geht es niemanden etwas an, außer meine Frau vielleicht, aber die …“ Der Satz blieb unvollendet. Wie in solchen Fällen üblich. Um Ausreden war er nie verlegen.
    Wagners Erinnerung war eine andere. Von wegen freiwillig. Der Ministerpräsident hatte sich an sie rangemacht und dann vorgeschlagen, sich für eine Weile zurückzuziehen. Eines Tages würden die ständigen Frauengeschichten den Regierungschef in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Wagner fühlte sich verpflichtet, seinen Chef vor sich selbst zu schützen. Aber der wollte es nicht zulassen.
    Und jetzt ein Mord in der Staatskanzlei!
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