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Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Die Staatskanzlei - Kriminalroman

Titel: Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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So etwas hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. Ohne Rücksprache mit dem Chef würde Wagner keinen Mucks von sich geben. Sollte die Journaille Amok laufen und sein Vorzimmer mit Mails und Telefonaten bombardieren. Kommentare zu Mordfällen waren Neuland für ihn und als Regierungssprecher konnte man sich schnell die Finger verbrennen.
    Wo blieb der Ministerpräsident bloß? Von der Bundeshauptstadt nach Hannover mit Blaulicht und Tempo 210 brauchte der Fahrer nicht länger als anderthalb Stunden. Wagner hatte oft genug Blut und Wasser auf der Rückbank des Dienstwagens geschwitzt, während sein Chef ungerührt vom waghalsigen Tempo des Fahrers Akten studierte oder telefonierte.
    Er rappelte sich auf, um seine Sekretärin um extra starken Kaffee zu bitten, als die ihren Kopf durch die Tür steckte. Gestern noch platinblond, war sie heute tiefschwarz, was sie älter aussehen ließ. Ihre Schwester verkaufte Perücken, seine Mitarbeiterin diente als Versuchskaninchen. Im Kollegenkreis sorgte das für hämische Bemerkungen. Jetzt brachte sie gute Nachrichten. Der Chef war endlich eingetroffen und hatte sein Zweitbüro im Gästehaus der Landesregierung im Zooviertel bezogen. Sie machte auf Hektik. „Das Vorzimmer des Staatssekretärs hat angerufen. Sie sollen sich sputen. Der Fahrer wartet auf dem Parkplatz.“
    Das Gästehaus war eine kluge Entscheidung, befand Wagner. Dort würden die Journalisten sie nicht vermuten.
    Er griff nach seiner Jacke und eilte zum Hinterausgang. Auf dem Flur standen Beamte und Angestellte in kleinen Gruppen zusammen. Die Nachricht, dass ihr Vorgesetzter erschossen worden war, hatte sie erreicht. Der Rundfunksender Niedersachsen und die privaten Rundfunksender berichteten im Zehnminutentakt und die Internetnachrichtendienste hatten die Meldung auf Platz eins gesetzt.
    Trauer vermochte Wagner auf keinem der Gesichter zu entdecken, nur Neugier, bei einigen gepaart mit Entsetzen. Niemand in der Staatskanzlei wollte ihm einfallen, der Heise gemocht hatte. Selbst Heises rechte Hand Gesine Terberg hatte nur so getan. Aber die Terberg war ohnehin eine merkwürdige Person. Es hieß, sie sei nicht ganz klar im Kopf. Für kurze Zeit war sie in seinem Team tätig gewesen. Personalchef Jochen Niemann war seiner Bitte, die Dame zu versetzen, nachgekommen. Nicht wegen der Arbeit wollte Wagner sie loswerden, die war okay. Sie bedrängte ihn, entwickelte Angewohnheiten einer Stalkerin. Die Abschiebung in Heises Abteilung galt als Strafversetzung.
    Der Staatssekretär, sein Gesichtsausdruck verdrossen wie immer, hatte sich auf der Rückbank des gepanzerten Dienstwagens ausgebreitet. Sie hatten bereits in aller Früh miteinander gesprochen, sich über den Mordfall ausgetauscht. Auf Wagners Gruß reagierte er daher mit einem unverständlichen Knurren. Der Regierungssprecher versuchte gar nicht erst, ein Gespräch in Gang zu bringen. Haders Fahrer, wie sein Chef Ostfriese und nicht minder wortkarg, murmelte etwas in seinen Bart, das sich wie „moin, moin“ anhörte.
    Wagner schloss die Augen und versuchte die Übelkeit zu verdrängen. In seinem Magen rumorte es, sein Schädel brummte und überhaupt war heute ein total beschissener Tag.

5
    Das im Zooviertel gelegene Gästehaus der Landesregierung, eine um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erbaute Villa im Still der Neorenaissance, umgeben von einem weitläufigen Park, wirkte imposant. Der äußere Eindruck täuschte allerdings, im Inneren herrschte eine düstere, beklemmende Atmosphäre. Die dunkle Holzvertäfelung im Treppenhaus, die schmalen, bleiverglasten Fenster, durch die kaum Licht drang, und der stets muffige Geruch über den Räumen wirkten alles andere als einladend. Auch das Chefbüro versprühte trotz der stets mit üppigem Blumenschmuck gefüllten Bodenvasen allenfalls Fünfzigerjahre-Charme. Der Ministerpräsident saß hinter seinem aktenfreien, ausladenden Schreibtisch, vor sich ein Glas Wasser. Trotz seiner durch regelmäßige Besuche im Sonnenstudio hart erarbeiteten Bräune sah er blass aus. Unter seinen Augen lagen Schatten. Der braune Boss-Anzug, letzte Woche anlässlich einer Dienstreise im Factory-Outlet Wolfsburg erstanden, wobei Wagner kurzzeitig in die Rolle des Modeberaters geschlüpft war, wirkte zerknittert. Auch die obligatorische Fliege saß schief.
    Förmlichkeiten waren heute nicht angesagt. Ohne seine Mitarbeiter zu begrüßen, kam der Ministerpräsident sofort zur Sache. „Furchtbar,
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