Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition)
Autoren: Marion Poschmann
Vom Netzwerk:
schien er für die eigenen Wohnräume zu altmodisch, wegwerfen wollten sie ihn nicht, schließlich klebten sie ihn in den Keller.
    Die goldgrauen Schlingen umrankten die Ecken, umringten das Zimmer. Schimmernde Siegeskränze zwangen zu Anstand und Strebsamkeit, zu bedächtigem Handeln, gemessenem Gang. Wir schlichen auf Zehenspitzen vor dieser Tapete, wir senkten die Stimme.
    Hier bereitete unser Vater seine Unterrichtsstunden vor, feilte seine Vorführstücke an der Werkbank zurecht, entwarf Tafeldiagramme, breitete maßstäbliche Zeichnungen aus.
    Die Tapete hing wie übermäßiger Silberschmuck der Weihnachtstanne in seinem Rücken, wie das Lametta, das unsere Tante jedes Jahr neu aufgebügelt hatte, zu viele Facetten, zu vielVerzierung, zu oft wiederverwendet, Lametta, dessen unzählige Knicke längst stumpf geworden waren, lahmer Behang aus Andacht und Sparsamkeit, der längst nicht mehr aussah wie Silberfäden, sondern wie Eisen, wie Blei, ein mit Blei begossener Baum, der uns feinfädig-schwerfällig die Zukunft voraussagte, eine nach unten gerichtete Zukunft, von der Erdanziehungskraft bestimmt.

4 Glühbirnengleichnis
    Man spricht vom Verlöschen des Lebenslichtes, man spricht davon, daß jemand in den Schatten eingeht, daß er ins Dunkel zurückkehrt, aus dem er kam. Als handele es sich bei diesem Dasein um einen Kurztrip durch Tag und Nacht, klar umrissen wie eine Kaffeefahrt, einsteigen in die Welt, aussteigen, und als bliebe der Tod, sobald wir eingestiegen sind, außerhalb.
    In Milas Küche hing eine klassische Eßtischlampe, die das Licht nicht streut, sondern auf die Tischplatte ausrichtet. Die Lampe hing zu hoch, und sie hing nicht über dem Tisch, der an der Wand befestigt war und ausgeklappt wurde, die Mahlzeiten verliefen im Halbschatten. An diesem Abend entspannte mich das. Von schräg unten sah ich die klare Birne und ihren Glühdraht, es kam mir so vor, daß sie uns nicht im Blick hatte, und es schien mir besser so.
    Mila nahm aus dem Kühlschrank eine schon angebrochene Flasche Cola und goß uns beiden ein Glas ein, als hätten wir einfach nur vor, gemeinsam Abendbrot zu essen. Sie hatte eine so selbstverständliche Art, diese Cola mit Eleganz zu servieren, mit langen kühlen Fingern die Gläser zurechtzurücken, ihr kinnlanges Haar zurückzuwerfen, sich dem Kühlschrank zuzuwenden, um den Rest zurückzustellen, daß ich das bereits etwas abgestandene Getränk, das sie mir vorsetzte, zu mir nahm wie einen edlen Aperitif. Dergleichen funktioniert vielleicht nur bei der eigenen Schwester, mit der man Kaufladen gespielt hat, Puppenküche und Restaurant. Mila jedoch war nicht zum Spielen aufgelegt, über ihrer Nasenwurzel stiegen senkrecht zwei Falten auf, ihre Mundwinkel bebten, das Zwielicht am Tisch zeichnete die maskenhafte Miene weich, als verschwände ihr wahres Gesicht dahinter im Halbdunkel. Ich hatte sie noch nie so angespannt gesehen. Von ihr ging eine unangenehme Energie aus, Wut, Ratlosigkeit und etwas wie ein schäbiger Triumph. Ich schob meinen Stuhl ein Stück zurück, duckte mich in die düsterste Ecke, bemühte mich hinter meinem Glas um Unauffälligkeit. Der braune Schaum platzte lahm und prickelte kraftlos in mein Gesicht, es würde kleben.
    Gründlich ausgeleuchtet war in diesem Raum nur ein Teil des Fußbodens. Die Glühbirne blickte auf rotes Linoleum, darauf schwammen einige Brotkrümel, Teilchen von braunen Zwiebelschalen, die weißen leichten Hüllen von Knoblauchzehen, die jeder Lufthauch weiterbewegte, vor dem Mülleimer lag etwas Kaffeesatz.
    Diese Dinge lagen und lagen nicht, sie wurden achtlos ausgestreut und regelmäßig aufgefegt, manchmal eine Mohrrübenscheibe, manchmal ein Tomatenstrunk. Aus der Sicht der Glühbirne, einäugig und unbeweglich, fehlte es diesem Bild an Tiefe, es kam einem abstrakten Gemälde nahe, in dem die Farben von größerer Bedeutung waren als die Form. Ein Bild, dessen Grundton gleich blieb, auf dem sich nur winzige Details, störrisch und flüchtig und wiederholbar, ab und zu verschoben.
    Was die Glühbirne sah, waren Milas Bewegungen beim Aufsetzen des Teekessels, war ich, der ich den Raum verließ und wiederkam, war die Katze, die weißblitzend über die Dielen huschte und auf die Fensterbank sprang, ein Wischen nur, eine Unschärfe, die nicht stillhielt.
    Was die Glühbirne sah, war eine Stubenfliege, die kopfüber am Lampenschirm entlanglief. Die Glühbirne sah aus nächster Nähe die behaarten Fliegenbeine, den borstigen Leib, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher