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Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)

Titel: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (German Edition)
Autoren: Robin Sloan
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ergründen, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Aus Gerüchten, die unter Goldschmieden kursierten, erfuhr er auch, dass sich in Venedig interessante Dinge ereigneten.
    Das hier ist eine Karte von Gerritszoons Reise, so gut ich sie rekonstruieren konnte. Er ist kreuz und quer am Mittelmeer herumgewandert – über Konstantinopel runter nach Je rusalem, weiter nach Ägypten und zurück über Griechenland, rüber nach Italien.
    In Venedig hat er Aldus Manutius kennengelernt.
    Fünftes Dia
    In Manutius’ Druckerei hat Gerritszoon schließlich seinen Platz in der Welt gefunden. Das Druckerhandwerk verlangte ihm all seine Schmiedefertigkeiten ab, aber es eröffnete ihm neue Möglichkeiten. Das Druckerhandwerk hatte nichts mit Glanz und Geschmeide zu tun – sondern mit Worten und Ideen. Auch war es mehr oder weniger das Internet der damaligen Zeit; es war aufregend.
    Und genau wie das Internet heute war das Druckerhandwerk im fünfzehnten Jahrhundert mit ständig neuen Problemen konfrontiert: Wie lagert man die Tinte? Wie mischt man das Metall? Wie formt man die Schrifttypen? Die Antworten änderten sich alle sechs Monate. In jeder großen europäischen Stadt gab es ein Dutzend Druckereien, die alle versuchten, diese Dinge als Erste zu lösen. Die größte Druckerei in Venedig gehörte Aldus Manutius, und dorthin ging Gerritszoon, um zu arbeiten.
    Manutius erkannte sofort sein Talent. Er schreibt auch, dass er seinen wachen Geist erkannte; er sah, dass auch Gerritszoon ein Suchender war. Also stellte er ihn ein, und sie arbeiteten viele Jahre lang zusammen. Sie wurden beste Freunde. Es gab niemanden, dem Manutius mehr vertraute als Gerritszoon, und niemanden, den Gerritszoon mehr respektierte als Manutius.
    Sechstes Dia
    Und schließlich, ein paar Jahrzehnte später, nachdem sie eine neue Industrie erfunden und Hunderte von Büchern gedruckt hatten, die für uns noch heute zu den schönsten zählen, die je geschaffen wurden, kamen die beiden allmählich in die Jahre. Sie beschlossen, an einem großen letzten Projekt zusammenzuarbeiten, einem, das ihren gesamten Erfahrungsschatz bündeln sollte und ihn für die Nachwelt erhalten.
    Manutius schrieb seinen Codex Vitae, und er war dabei ehrlich: Er beschrieb, wie die Dinge in Venedig wirklich liefen. Er beschrieb seine eigenen dunklen Machenschaften, durch die er sich die Exklusivrechte am Druck der Klassiker gesichert hatte; er beschrieb, wie seine Konkurrenten versucht hatten, die Schließung seines Unternehmens zu erwirken, und wie er umgekehrt selbst dafür gesorgt hatte, dass einige von ihnen schließen mussten. Eben weil er dies alles vollkommen offen und ehrlich in seinem Codex schilderte und weil der Inhalt, falls er sofort veröffentlicht werden würde, seinem Geschäft, das er an seinen Sohn weitergeben wollte, schaden würde, beschloss er, ihn zu verschlüsseln. Aber wie?
    Zur selben Zeit war Gerritszoon dabei, eine Schrifttype zuzuschneiden, seine beste überhaupt – ein kühner Entwurf, der Manutius’ Druckerei nach dessen Tod über Wasser halten würde. Er traf damit ins Schwarze, denn es sind die Formen, die heute seinen Namen tragen. Aber während des Herstellungsprozesses tat er etwas Unerwartetes.
    Aldus Manutius starb 1515 und hinterließ äußerst aufschlussreiche Memoiren. Der Überlieferung des Ungebrochenen Buchrückens zufolge vertraute Manutius Gerritszoon den Schlüssel zu seinem chiffrierten Lebensbuch an. Aber irgendetwas ging während der fünfhundert Jahre in der Übersetzung verloren.
    Gerritszoon hat den Schlüssel nicht bekommen.
    Gerritszoon ist der Schlüssel.
    Siebtes Dia
    Hier ist ein Bild von einer Gerritszoon-Patrize: das X .
    Hier sieht man es in der Vergrößerung.
    Hier sieht man es noch größer.
    Hier sieht man es durch die Lupe meines Freundes Mat. Sehen Sie die kleinen Einkerbungen am Rand des Buchstabens? Sie sehen aus wie die Zähne eines Getriebes, stimmt’s? – Oder wie der Bart eines Schlüssels.
    (Jemand schnappt laut und rasselnd nach Luft. Es ist Tyn dall. Man kann sich immer darauf verlassen, dass er sich aufregt.)
    Diese kleinen Kerben sind keine Ausrutscher und auch keine Zufälle. Alle Patrizen weisen solche Kerben auf, ebenso alle Formen, die aus den Patrizen gegossen wurden, und jedes Stück der Gerritszoon-Type, das je hergestellt wurde. Ich für meinen Teil musste nach Nevada fahren, um das rauszu kriegen; ich musste Clark Moffats Stimme auf einer Tonband aufnahme hören, um es richtig zu kapieren.
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