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Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Autoren: James Grenton
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der Verletzte Jims Hand. Sein Atem wurde immer unregelmäßiger. Hin und wieder, wenn er halbwegs zu Bewusstsein kam, murmelte er einen halben Satz. Jim fragte jedes Mal, was denn passiert sei, bekam aber keine Antwort, nur immer wieder dieselben Worte. Jim versuchte die Wunden des Mannes mit den sterilen Kompressen und Bandagen aus dem Erste-Hilfe-Kasten zu versorgen. Er konnte die Blutungen stoppen, was nichts daran änderte, dass der ganze Körper des Mannes mit Blasen und Blutergüssen übersät war.
    »Nasir, schau dir seine Haut an. Sie ist völlig verbrannt.«
    Nasir warf einen Blick nach hinten. Seine Augen wurden schmal und sein Mund öffnete sich, als wollte er etwas sagen. Dann wandte er sich wieder ab.
    »Der Mann wurde gefoltert«, sagte Jim mit rasendem Puls. Schmerzliche Erinnerungen kamen in ihm hoch: verkohlte Gesichter, geschundene Körper, lebendig begrabene Soldaten.
    Er stieß die Gedanken beiseite.
    Nasir hielt den Blick auf die Straße vor ihnen gerichtet. Jim tat einen tiefen Atemzug und durchsuchte, was von der Kleidung des Mannes noch übrig war. Er brachte ein altes Nokia zum Vorschein, das klobige Modell aus den späten 90er-Jahren. Es war ziemlich ramponiert und das Display gesprungen. Jim versuchte es einzuschalten, aber es tat sich nichts. Er steckte das Handy ein und suchte weiter. Er fand einen Zettel, auf dem etwas stand:
    212 Stanley 14.00 23 9
    Er faltete ihn zusammen und steckte ihn ein.
    Nasir sprach mit jemandem am Telefon. Nach einer Weile legte er auf und wandte sich an Jim.
    »Ich habe das Team in Hargeysa angerufen. Sie sagen im Krankenhaus Bescheid. Lebt er noch?«
    Jim sah den Verletzten an. Er atmete noch, tat sich aber schwer.
    »Ja. Aber ich kann nicht sagen, wie lange noch.«

Kapitel 2
    Hargeysa, Somaliland
16. September 2003
    Eine Stunde später näherten sie sich den verstreuten Lichtern des IDP-Camps am Rande von Hargeysa. Nach dem Sturz des somalischen Diktators Siad Barre 1991 hatten sich Scharen von Somaliern in die relative Sicherheit der eben gegründeten Republik Somaliland geflüchtet, während der Rest Somalias im Bürgerkrieg versank. Über 72000 intern Vertriebene – Internal Displaced Persons im Jargon der Entwicklungshilfe – lebten nach wie vor rund um Hargeysa in provisorischen Lagern, in denen Krankheiten wie Malaria und Cholera grassierten.
    Als der Land Rover die Sandpisten zwischen den Reihen arg mitgenommener Hütten entlangrumpelte, aus denen solche Lager grundsätzlich bestehen, starrte Jim hinaus. Männer in zerrissenen Hosen und zerschlissenen T-Shirts kauerten um Kerosinlampen oder die Reste von Holzkohlefeuern, die für unheimliche Schatten sorgten. Die Nachtluft war erfüllt von Rauch und Staub. Es roch nach Kot. Von den Scheinwerfern des Fahrzeugs angezogen, liefen Horden abgerissener, schmutziger Kinder auf den vorbeifahrenden Land Rover zu. Einige versuchten erfolglos aufzuspringen. Das Fahrzeug hinter ihnen, das ihnen den ganzen Weg gefolgt war, bog ab und fuhr Richtung Süden davon.
    Jim und Nasir erreichten das Krankenhaus von Hargeysa, eine Ansammlung brauner Steingebäude, die erstaunlich neu wirkten im Vergleich zu den ausgebombten Ruinen, aus denen die Stadt sonst weitgehend bestand. Nasir kletterte vom Fahrersitz und lief nach Hilfe rufend hinein. Ein Arzt und zwei Schwestern in makellosen weißen Kitteln kamen heraus. Der Arzt stocherte mit einem Finger auf den Bewusstlosen ein, verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. Jim stieß ihn beiseite und machte den Schwestern Zeichen. Gemeinsam schafften sie den Mann auf die Krankenstation.
    Dutzende von schmerzgekrümmten Männern und Frauen lagen auf den Betten. Der Geruch von Fäulnis hing in der Luft. Sie legten den verletzten Mann auf eine dreckige Matratze auf dem Boden. Ein Doktor nahm seinen Puls und sah nach den Wunden.
    »Sieht nicht gut aus«, sagte eine grobe Stimme hinter ihnen.
    Jim und Nasir drehten sich um. Ein ziemlicher Hüne von einem Mann mit graumeliertem Bart, silbergefasster Brille und grünem Uniformhemd blickte sie finster an.
    »Harry! Schön dich zu sehen«, sagte Nasir und ergriff die Hand des Mannes. Seine Stimme war ganz untypisch freundlich, wenn auch etwas nervös. »Jim, das ist Harry Steeler, Sicherheitschef von UA. Harry, das ist Jim Galespi. Er hat gerade als Manager für Programmfinanzierung bei uns angefangen.«
    Steeler ignorierte Jims ausgestreckte Hand. Er schob den Arzt und die Schwestern beiseite und pflanzte sich neben dem Bett auf, als
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