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Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Autoren: James Grenton
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stehen. Sie hob die Klappe an. Sie sah sich vor Reihen rostiger Metallpritschen mit dreckigen Matratzen und teils zerrissenen roten Laken. Über jedem Bett hing ein blaues Moskitonetz von der Decke. In einer Ecke stand ein Haufen allem Anschein nach medizinischer Gerätschaften mit Schläuchen und Skalen. Ein Lazarettzelt.
    Sie ging hinein und sah sich um. Einige der Matratzen hingen halb über die Bettkante, als hätte man die Kranken herausgezerrt. Auf dem gestampften Boden sah sie große dunkle Flecken. Fabienne kniete nieder. Es war eine eingedickte Flüssigkeit.
    Blut.
    Sie hörte ein Geräusch hinter sich. Sie fuhr herum. Die Zeltklappe bewegte sich. Wahrscheinlich der Wind. Oder war es jemand, der überlebt hatte, was immer hier passiert war?
    War es zu einer plötzlichen Epidemie gekommen? War man deshalb geflohen? Oder hatten die Milizen angegriffen? Warum hatte man das Büro von Universal Action in Hargeysa nicht informiert?
    Sie ging auf den Ausgang zu. Sie besah sich die Reifenspuren davor. Sie folgte ihnen tiefer ins Lager. Sie führten zu einem großen Container. Sie wollte eben einen Blick hineinwerfen, als sie ein Knacken hinter sich hörte. Sie sah sich um. Zwischen zwei der Hütten bewegte sich ein Schatten.
    Folgte ihr jemand?
    Sie schlich auf die Hütten zu und sah um die Ecke. Es war niemand da. Sie sah nichts weiter als verwaiste Töpfe und Pfannen neben kalten Feuerstellen. Sie zuckte die Achseln. Ihre Suche blieb ergebnislos. Das Lager war leer.
    Eilig ging sie zurück zu Andrew, der auf sie wartete, den Kleinen im Arm.
    »Mir schmeckt das hier nicht«, sagte sie. »Gehen wir.«
    »Wir sollten weitersuchen.«
    »Hab ich doch eben.«
    »Nicht überall.«
    Fabienne steckte einmal mehr die widerspenstige Strähne zurück hinters Ohr. »Das Lager ist riesig. So was würde Tage dauern.«
    »Jetzt übertreibst du aber. Und wenn wir nur ein Leben retten, wär’s das nicht wert? Hast du beim Briefing selber gesagt.«
    »Mag sein. Aber wir haben Hilfsmittel für Tausende von Leuten, die womöglich mittlerweile in Duruqsi sind. Außerdem dachte ich, du hättest Angst.«
    »Wenn jeder mithilft, ist das im Nu erledigt.«
    »Tut mir leid, Andrew.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »In einer Dreiviertelstunde haben wir Sonnenuntergang. Wir müssen los.« Sie machte sich auf den Weg zum Truck.
    »Komm schon, Fabienne. Sei keine Zicke.«
    »
Quoi?
« Fabienne fuhr herum und ging auf ihn zu.
    »Was hast du gesagt?«
    »Sorry, Fab, war nicht so gemeint. Ich will ja nur–«
    Fabiennes Walkie-Talkie krächzte und eine verzerrte Stimme rief ihren Namen. Sie ignorierte es. Sie stand vor ihm und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sich auf Englisch auszudrücken konnte recht schwierig sein, wenn sie sich ärgerte.
    Andrew sah sie an.
    Sie legte los: »Nun hör mal zu, Andrew, und zwar genau. Wir haben Tausende von Säcken Getreide, Salz, Mais und was weiß ich sonst noch an Tausende von Vertriebenen zu verteilen, die am Verhungern sind. Siehst du sie hier?« Ihr rechter Arm beschrieb einen weiten Bogen. »Nein, natürlich nicht, weil sie alle fort sind. Okay? Vielleicht sind noch ein paar hier, aber dann haben sie eben Pech gehabt. Wir haben keine Zeit. So ist das nun mal bei der Entwicklungshilfe. Wir müssen eine Wahl treffen. Mittlerweile solltest du das wissen.«
    Andrew starrte sie mit offenem Mund an. Sie stapfte davon, blieb dann aber stehen, drehte sich auf dem Absatz um und richtete einen Finger auf ihn.
    »Und nenn mich nie wieder Namen!«
    Andrew rief hinter ihr her, aber sie ignorierte ihn. Manchmal konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, zu freundlich zu ihm zu sein. Ihm fehlte es an Respekt.
    Sie marschierte zurück zum Laster oder wenigstens hatte sie die Richtung eingeschlagen, in der sie ihn wusste. Einige Augenblicke später sah sie sich um.
    Wo war er?
    Sie war sich sicher, ihn dort drüben abgestellt zu haben. Diese Lager waren die reinsten Irrgärten: ein Hüttenblock sah aus wie der andere. Andrew hätte den Laster im Nu gefunden, aber ihm einzugestehen, dass sie sich verlaufen hatte, wäre zu demütigend. Auch wenn sie wusste, dass ihm Schadenfreude nicht lag. Dazu war er zu nett.
    Fabienne ging weiter. Sie würde den Laster schon finden. Vielleicht war er hinter dem Holzstapel dort drüben.
    Ihr wollte schier das Herz stehen bleiben. Es war kein Holz.
    Es war ein Haufen, nein, eigentlich eher eine Mauer aus abgetrennten Köpfen. Hunderte. Womöglich Tausende. Einer
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