Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition)
Autoren: James Grenton
Vom Netzwerk:
sorgfältig auf den anderen gesetzt wie die widerliche Installation eines geistesgestörten Künstlers. Fliegen umschwärmten sie summend. Das Blut hatte große schwarze Lachen im Staub gebildet. Etwas weiter weg lag, von geronnenem Blut überzogen, ein ungeheurer Haufen halbnackter, kopfloser Leichen. Ihre Gliedmaßen lagen in bizarren Winkeln zu ihrem Körper; ihre zerrissene Kleidung hing an ihnen herab wie die schmutzigen Lumpen weggeworfener Puppen.
    Fabienne ging in die Knie. Ihr war schwindlig, ihr Mund war wie ausgedörrt. Irgendetwas in dem Haufen bewegte sich. Ein Kopf hatte sich von der Spitze gelöst, war mit einem dumpfen Geräusch auf der Erde gelandet und rollte jetzt auf sie zu. Sie stieß einen Schrei aus und krabbelte rückwärts davon. Einige Meter vor ihr kam er zum Stehen und starrte sie mit glasigen Augen an. Ein haariges Tier sprang von dem Haufen und brachte ein gutes Dutzend weiterer Köpfe zum Rollen.
    Eine Hand griff nach ihrer Schulter. Sie stieß einen Schrei aus.
    »Fab, ich bin’s.«
    Andrews kräftiger Arm legte sich um sie. Sie umfasste ihn. Er kniete neben ihr nieder, den kleinen Jungen, bewusstlos oder tot, im anderen Arm.
    »Warum?«, flüsterte sie. »Wer?«
    Ohne voneinander abzulassen, rafften sie sich taumelnd auf. Auf dem Weg zurück zum Laster, schüttelte Fabienne immer wieder den Kopf in dem Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen. Es war ein Alptraum. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie so etwas Entsetzliches, etwas so Grausiges gesehen, noch nicht einmal in ihren finstersten Tagen mit Médecins Sans Frontières in Darfur.
    Sie drückte Andrew fester an sich. Sein Körper fühlte sich beruhigend stark an. Sie wollte ihm eben den Kopf an die Brust legen, als sie zu Bewusstsein kam. Wo hatte sie nur ihre Gedanken? Sie war die Chefin dieses Hilfsmittelkonvois. Sie musste Stärke zeigen, Entschlossenheit. Peinlich berührt befreite sie sich aus Andrews Umarmung und ging voran auf den Truck zu, den sie jetzt deutlich sah.
    Sie riss die Tür auf und kletterte auf den Beifahrersitz. Sie holte tief Luft, bevor sie, mit fester Stimme, wie sie hoffte, ins Walkie-Talkie sprach.
    »Okay, an alle: Wir haben hier ein Riesenproblem. Bleibt, wo ihr seid. Wir kommen.«
    Statisches Rauschen.
    »Ich sagte, wir haben ein Riesenproblem«, sagte Fabienne. »Habt ihr verstanden?«
    Andrew kam auf sie zugelaufen, den Jungen im Arm.
    »Fab«, rief er atemlos aus.
    »Es meldet sich niemand«, sagte sie. »Was zum Teufel haben die vor?«
    Vor der offenen Tür der Fahrerseite kam Andrew zum Stehen.
    »Fab«, sagte er und schnappte nach Luft wie ein Hund. »Wir haben noch ein anderes Problem.«
    »Scheiße, natürlich haben wir ein Problem.«
    Er setzte den Jungen sachte auf der Erde ab und streckte eine Hand nach Fabienne aus.
    »Komm mal runter hier.«
    »Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?« Sie nahm das Walkie-Talkie wieder ans Ohr.
    »Herrgott noch mal, Frau, hör einmal auf mich!«
    »Was unterstehst du–«
    »Halt einfach den Mund und komm her.«
    Andrew zerrte sie aus dem Truck, fing sie aber auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Noch bevor sie reagieren konnte, hatte er sie herumgerissen. Er wies mit dem Finger auf den Lagereingang.
    »Schau doch, Fab, dort drüben. Was siehst du?«
    »Nichts«, murmelte sie, den Blick auf die leere Wüste gerichtet.
    »Genau.«
    Dann traf sie die Erkenntnis wie eine Faust in den Magen.
    Ihr Konvoi war nicht mehr da.

Kapitel 4
    Hargeysa, Somaliland
16. September 2003
    Nachdem sie den Mann im Krankenhaus abgeliefert hatten, fuhr Nasir Jim zurück zum Regionalhauptquartier von UA. Die dicken, mehrere Meter hoch aufragenden Betonmauern voll Einschusslöcher und arabischer Graffiti ließen die Anlage wie eine düstere Festung aussehen. Nasir fuhr an Khat kauenden Wachposten vorbei durch das massive blaue Stahltor in einen großen Hof. Die hintere Mauer entlang stand eine Reihe strahlend weißer Land Rover. Jim verabschiedete sich von Nasir, der gerade mal die Hand hob und nicht einen Zug seiner ewig grimmigen Miene verzog.
    Jim überquerte den staubigen Parkplatz in Richtung des eingeschossigen Bürogebäudes. Mit einem Klimmzug hievte er sich auf das Flachdach und suchte dann im Schein seiner Taschenlampe die Oberkante der Mauer ab, ob der Stacheldraht noch intakt war und keine Äste überhingen. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Anlage so sicher wie nur irgend möglich war, sprang er zurück in den Hof und ging in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher