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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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und er kniete neben ihr nieder. Sie hatte auch ihre Welt verloren. Plötzlich war er auf eine Weise froh, daß sie hier war, die nichts mit seinem Hunger nach einer Frau zu tun hatte; nach dem langen Marsch und der bitteren Enttäuschung fehlte ihm ohnehin die Lust, seine Ehe sofort zu vollziehen. Doch er hätte es nicht ertragen, ausgerechnet in dieser Nacht allein zu sein, und er vermutete, daß es ihr ebenso erging.
    »Morgen«, meinte er bedrückt, »morgen können wir überlegen, was zu tun ist. Jetzt sollten wir die Tiere für die Nacht versorgen.«
    In der Dämmerung konnte er sich nicht ganz sicher sein, aber ihm war, als zuckten ihre Mundwinkel und er sähe sie zum ersten Mal lächeln. Nur ein angedeutetes, schiefes Lächeln, doch immerhin ein Lächeln.
    »Du hängst wirklich an diesen Schweinen«, stellte sie fest.
    Er wußte zwar nicht, warum sie das belustigte, doch er nickte. »Und den Kühen«, entgegnete er sachlich. »Die Kühe sind unser wichtigster Besitz.«
    Am Ende schirrten sie die zweite Kuh aus dem Karren aus, fanden die Sau mit ihren Ferkeln, sperrten sie in eine der Hütten und breiteten den Mantel, den Faustulus als Krieger erhalten hatte, über eine der Schlafstätten in Mamulius’ Haus. Larentia legte sich darauf und schlief anscheinend sofort ein, denn sie merkte nicht mehr, daß er sich neben ihr ausstreckte.

    Am nächsten Morgen erwachte Faustulus kurz vor Sonnenaufgang, übergangslos, wie der Krieger, der er doch nur kurze Zeit gewesen war. Er schreckte auf und stellte fest, daß er in Schweiß gebadet war, daß sein Herz hämmerte, als sei er gerannt, und daß er sich an einem fremden Ort befand, der ihm dennoch seltsam vertraut erschien. Statt des leisen Schnarchens seiner Kameraden hörte er Grillen zirpen, einige Vögel, und irgendwo brüllte eine Kuh. Natürlich, dachte er schläfrig, die Kuh muß gemolken werden. Erst da fiel ihm wieder alles ein. Er blickte sich um und stellte fest, daß er allein war. Wo steckte das Mädchen?
    Einen Moment lang packte ihn die unsinnige Angst, auch sie sei verschwunden wie sonst jeder Mensch in seinem Leben, geholt von den Göttern der Tusci, die sie mit ihrer Geschichte über die Schwangerschaft beleidigt hatte. Sein zweiter Gedanke war, daß sie auf die Idee gekommen sein könnte fortzulaufen, zu ihrem Vater nach Tarchna. Etwas, das der König streng verboten hatte. Nicht, daß sie überhaupt so weit kommen würde. Nach ein oder zwei Tagen allein und ohne Schutz würde sie tot oder im Besitz eines anderen Mannes sein.
    Er rannte nach draußen. Die Morgendämmerung umgab ihn mit trägen, lockenden Dunstschleiern, und einer alten Gewohnheit folgend, blickte er zum Herzen des Dorfes, dem Brunnen, um einen Orientierungspunkt für sich zu finden. Zu seiner großen Erleichterung entdeckte er dort Larentia. Faustulus schalt sich töricht. Natürlich hatte sie Durst verspürt, das war alles. Er hatte selbst eine trockene Kehle und freute sich auf einen Schluck Wasser. Anschließend würden sie die Tiere tränken und dann weitersehen. Der Verlust seines Dorfes tat weh und fraß an ihm, als hätte er einen dunklen Wurm im Magen, aber es gab noch andere Dörfer, eines davon nicht allzuweit entfernt. Vielleicht waren einige der alten Freunde im nächsten Dorf, obwohl er das bezweifelte; seine Leute hatten sich nie mit denen vom Dorf am Fluß verstanden, und er argwöhnte selbst jetzt noch, daß ihr Raubzug seinerzeit den Tusci verraten worden war. Aber, wie sein Großvater immer gesagt hatte, besser ein wurmstichiger Holzeimer als überhaupt keiner.
    Im Licht der aufgehenden Sonne wirkte die Gestalt des Mädchens wie mit Gold überzogen. Sie hatte die Spangen gelöst, die ihr Oberkleid zusammenhielten, um sich zu waschen, und Faustulus wurde bewußt, daß sich sein Durst auf eine andere Ebene verlagert hatte. Wenn sie sich einer neuen Gemeinschaft anschlossen, würde sicher der eine oder andere darunter sein, der glaubte, eine Fremde billig bekommen zu können. Es galt, seinen Anspruch auf seine Gattin zu bekräftigen. Sie mochten ein Lager geteilt haben, aber nach den Regeln seines Volkes war sie erst dann seine Frau, wenn er sie besessen hatte.
    Faustulus räusperte sich und rief: »Larentia!«
    Sie zuckte zusammen und drehte sich zu ihm um, machte aber keine Anstalten, aufzustehen und zu ihm zu kommen. Statt dessen wirkte sie ärgerlich und machte ein Gesicht, als habe er sie bei etwas Wichtigem unterbrochen. Etwas von ihrem Unmut sprang auf ihn
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