Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
weiß, was vereinbart ist«, antwortete Faustulus gekränkt.
    Der Krieger grunzte. »Einmal ein Viehdieb, immer ein Viehdieb.«
    Während sie warteten, untersuchte Faustulus die Tiere. Sie waren allesamt gut genährt, und die prallen Euter der Kühe verrieten, daß man sie heute noch nicht gemolken hatte. Bei den Schweinen handelte es sich um eine Sau und ihren Wurf. Die Ferkel alle in eine Richtung zu treiben würde nicht einfach sein, aber er hatte Zeit. Niemand in seinem Dorf wußte, daß er zurückkehren würde, und die Überraschung über die Reichtümer, die er brachte, würde allen den Atem verschlagen, ganz gleich, wann er eintraf.
    Er kniete gerade neben einer der Kühe, um ihre Hufe zu begutachten, als der Krieger sich räusperte und ihm zuraunte, der König sei da. Faustulus stand hastig auf und sah sich nicht nur dem König, sondern auch dessen Nichte gegenüber. Heute trug das Mädchen ein einfaches braunes Wollkleid. Faustulus fragte sich, ob sie es selbst gewebt hatte, wie die Frauen in seinem Dorf. Es entsprach in seiner Schlichtheit nicht gerade dem, was die Adligen der Tusci sonst trugen, was ihn erleichterte, denn so würden sie nicht sofort unliebsame Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Lediglich die Spangen, die das Kleid über ihren Schultern zusammenhielten, waren aus viel zu fein gearbeiteter Bronze, als daß sich eine Landfrau dergleichen hätte leisten können. Sie trug ein kleines Bündel, einen ledernen Sack, und schaute mit dem gleichen starren Blick wie gestern ins Nichts. Er ertappte sich dabei, wie er versuchte, ihre Augen auf sich zu ziehen, um ihr beruhigend zuzulächeln.
    »Faustulus«, sagte der König, »hiermit übergebe ich dir deine Braut. Sei gut zu ihr.«
    Der Blick des Mädchens verlor seine Starrheit, aber er richtete sich immer noch nicht auf Faustulus. Statt dessen beobachtete er, wie das Leben in sie zurückkehrte, als sie mit einer Stimme voll Zorn zu ihrem Onkel sagte: »Verschone mich wenigstens mit deiner Heuchelei.«
    »Es tut mir leid«, erwiderte der König. »Aber du hast mir keine andere Wahl gelassen.«
    Das Mädchen lachte, ein kurzes, bitteres Lachen, in dem nicht ein Funken Erheiterung lag. Die Stirn ihres Onkels umwölkte sich.
    »Mach keine Dummheiten, Talitha«, sagte er scharf, und einen Moment lang dachte Faustulus, das sei ihr Name, bis ihm wieder einfiel, daß »Talitha« in der Sprache der Tusci für ein junges Mädchen stand, das verheiratet werden sollte. »Und geh nicht nach Tarchna. Dein Vater hatte ohnehin Glück, dort Obdach zu finden, und er wird es dir nicht danken, wenn du ihm einen weiteren Fluch ins Haus bringst, das weißt du.«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf, erwiderte aber nichts mehr, und erneut begann sich die Starrheit über seine Züge zu legen. Um das zu verhindern, fragte Faustulus rasch: »Wie soll ich dich nennen?«
    Da schaute sie ihn endlich an. In diesem ersten Blick, den sie ihm schenkte, lag Feindseligkeit, doch es war eine Abneigung eher unpersönlicher Art, wie man sie etwa für eine allzu lange Dürre empfand oder für einen Händler, der einen zu übervorteilen versuchte; sie glich in nichts dem leidenschaftlichen Haß, den sie gerade ihrem Onkel gegenüber gezeigt hatte.
    »Gibst du diesen hier« - sie machte eine Handbewegung in Richtung Vieh - »denn Namen? Wenn ja, dann kannst du mir auch einen geben. Schließlich hast du mich zusammen mit ihnen bekommen, und mein eigener Name wurde mir genommen.«
    Der König schloß kurz die Augen, dann nickte er dem Krieger zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort mit seiner Nichte oder Faustulus zu wechseln. Faustulus lag es auf der Zunge, zu antworten, der Verlust ihres Namens tue ihm leid, doch er ließ es sein. Er hatte das Gefühl, daß sie für weitere Mitleidsbekundungen nicht empfänglich sein würde.
    Bei den Latinern trugen Frauen den Namen ihrer Väter und später auch den ihrer Gatten; er wußte allerdings, daß es die Tusci anders hielten. Wenn sie erst in seinem Dorf waren, würde sie von allen Faustula genannt werden, aber er hielt es für unklug, ihr das jetzt schon zu sagen. Er wollte sein Zusammenleben mit ihr versöhnlich beginnen, und so war es ihm ernst damit, sich später einen Namen für sie auszudenken »Und nun«, schloß er beschwichtigend, »laß uns gehen.«
    Sie schaute von den Schweinen zu den Kühen und dann wieder zu ihm, mit derselben stetigen, unpersönlichen Abneigung. Dann schulterte sie achselzuckend den Lederriemen, an dem ihr Beutel hing,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher