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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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ihrer linken und rechten Seite traten alle einen Schritt zurück, als die drei vor ihnen sich umwandten.
    Die Menge, in der er sich befand, wurde still. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, das Gesicht des Mädchens besser auszumachen. An ihrer Gestalt ließ sich nichts aussetzen. Man erkannte noch nichts von einer Schwangerschaft; mit den langen Beinen und den gutgeformten Brüsten entsprach sie durchaus seinen Vorstellungen. Er spürte Sehnsucht in sich aufsteigen. Es war lange her, daß er ein Weib gehabt hatte. Wenn er damals mit der Kuh zurückgekommen wäre, hätte es in seinem Dorf ein Mädchen für ihn gegeben, aber er machte sich keine Hoffnungen, daß sie noch auf seine Rückkehr wartete. Ihr Vater hatte sie gewiß längst einem anderen gegeben; so war das Leben. Für einen Unfreien wie ihn bestand hier in Alba zwar die Möglichkeit, sich mit einer Sklavin einzulassen, aber dabei war ihm gewöhnlich kein Glück beschieden gewesen. Ja, es würde gut sein, wieder bei einer Frau zu liegen.
    Er schob sich etwas weiter durch das Gedränge vorwärts, und jetzt konnte er auch ihre Gesichtszüge erkennen. Sie schaute starr geradeaus, während eine der Priesterinnen eine lange Rede hielt, von der Faustulus nur die Hälfte verstand. Ein Kinnmuskel zuckte, aber sie öffnete weder den Mund, um selbst zu sprechen, noch schlug sie die Augen nieder, um den auf sie gerichteten Blicken der Menge zu entgehen. Es waren große, dunkle Augen, und unwillkürlich fröstelte ihn, denn der erste Mann, den er je getötet hatte, einer der Krieger des alten Königs, hatte genau so einen Blick gehabt, als er starb.
    Bisher hatte er das Mädchen als willkommene Ergänzung zu dem versprochenen Vieh betrachtet und gehofft, daß sie trotz des Geredes der Leute nichts Böses an sich hatte, aber jetzt fragte er sich zum ersten Mal, was sie über das Geschehene dachte. Er kannte sich mit Einsamkeit und verlorenen Hoffnungen gut aus, aber er hatte noch nie ein so einsames Wesen gesehen wie das Mädchen, das er heiraten sollte, und mit einemmal wurde ihm bewußt, daß er noch nicht einmal ihren Namen kannte. Sie war ihm immer nur als »das Mädchen«, »die Nichte des Königs« oder »die Priesterin« bezeichnet worden.
    Die kleine, sehnige Frau, welche die ganze Zeit gesprochen hatte, war am Ende ihrer Rede angelangt und winkte einer anderen, die ihr einen Holzkasten übergab. Die Rednerin tauchte ihre Finger hinein, zog sie wieder heraus und berührte das Mädchen einmal auf jeder Wange, was jeweils einen langen roten Streifen hinterließ.
    »Du bist nicht länger Priesterin der großen Göttin Turan«, verkündete sie, und diesmal verstand Faustulus sie klar und deutlich. »Du hast keinen Namen mehr. Du hast kein Volk mehr. Mögen die Götter dir gnädig sein.«
    Das Mädchen rührte sich nicht. Einen Moment lang fragte sich Faustulus, ob sie nun alle gehen und sie so stehenlassen würden. Dann trat einer der Hauptleute des Königs vor und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Sie rührte sich noch immer nicht, und die Menge geriet in Unruhe. Die Priesterin, die gesprochen hatte, sagte noch etwas, aber zu leise, als daß Faustulus es hätte verstehen können. Abrupt wandte sich das Mädchen ab und ließ sich von den Waffenträgern fortbringen, während die Priesterin der Menge verkündete, sie werde jetzt das Sühnegebet sprechen, dessen man auch dringend bedürfe, da dieser Frevel doch ausgerechnet in dem der Göttin geweihten Monat Turanae geschehen sei. Faustulus hatte genug, und auch er brach in Richtung Palast auf.

    Er verstand nicht, warum er noch einen Tag warten mußte, statt gleich mit dem Mädchen aufbrechen zu können, aber es hing wohl mit einer weiteren der vielen Tusci-Zeremonien zusammen. Oder der König hatte genügend Mitleid mit seiner Nichte, um verhindern zu wollen, daß ihr die Straßenjungen nachliefen, wenn sie die Stadt verließ, und wählte daher einen anderen Tag. Wie dem auch sein mochte, als Faustulus das Mädchen wiedersah, geschah es am kleinsten der drei Stadttore, dem, durch das die Bauern und Hirten zum Markt kamen. Wie versprochen, warteten dort zehn Schweine und zwei Kühe auf Faustulus und außerdem ein kleiner Holzkarren voller Gerätschaften, alles bewacht von demselben Rasna-Krieger, der gestern das Mädchen eskortiert hatte.
    »Der König kommt gleich«, meinte der Mann. »Rühr dich nur nicht vom Fleck. Nicht daß du auf die Idee kommst, mit dem Viehzeug und ohne das Mädchen zu verschwinden.«
    »Ich
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