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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Autoren: Jane Johnson
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Gestalten, die noch einen Kopf größer sind als ich, wahre Muskelpakete. Ich habe gesehen, wie Hassan mit bloßen Händen einem Mann das Genick gebrochen und Yaya einem anderen, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Lanze durch den Oberschenkel gebohrt hat. Ich schiebe die Kapuze der Djellaba zurück. »Ich bin’s, Nus-Nus.«
    »Du siehst aus wie eine ersoffene Ratte, die Brot aus der Kornkammer gestohlen hat.«
    »Wäsche.« Immerhin nicht ganz gelogen.
    »Nun, am besten verziehst du dich schnell ins Trockene, sonst wird sie ein zweites Mal nass.«
    Ich haste an ihnen vorbei, durch den gewaltigen, hufeisenförmigen Torbogen in eine große Halle. Meine bloßen Füße hallen auf dem glatten Boden wider. Ich kann eine Schar von Höflingen hören, die mir entgegenkommen. Doch dann stehe ich schon vor meinem Zimmer, einem Vorraum von Ismails Pavillon, und husche hinein, bevor sie mich sehen können.
    Im Brunnen des Hofes draußen wasche ich das Blut von Händen und Füßen in der Hoffnung, dass niemand mich beobachtet, und vergrabe dann die ruinierten babouches in der weichen Erde unter dem Hibiskus. Doch was soll ich mit dem Burnus und dem Koran machen? Mein karges Zimmer ist ein beeindruckender Raum, mit Bogenfenster, einer Decke aus Zedernholz und Terrakottakacheln an den Wänden. Abgesehen von einem schmalen, mit Rosshaar gepolsterten Diwan enthält es nur einen Gebetsteppich, eine Schreibschatulle für meine Utensilien und eine hölzerne Truhe, auf der ein Messingbrenner und ein Kerzenhalter stehen. Zusammen mit den Kleidern an meinem Leib, dem Beutel, den ich bei mir habe, und dem Inhalt der Truhe stellen sie meinen gesamten weltlichen Besitz dar.
    Ich räume Brenner und Kerzenhalter beiseite, lege den Inhalt der Truhe auf mein Bett und habe gerade noch Zeit, das Bündel hineinzustopfen, als ich die Stimme des Sultans höre.
    »Nus-Nus!«
    Diese Stimme ist unverkennbar. Ganz gleich, wie ruhig er spricht, wie viele Menschen ihn umgeben oder wie laut ihr Geplapper sein mag, sie berührt nicht nur mein Gehör, sondern auch etwas tief in meinem Inneren. Ich ziehe das rotfleckige Gewand aus, streife das erstbeste Ding über, das ich finden kann – einen dunkelblauen Umhang –, schlüpfe in meine alten babouches , stürze hinaus und werfe mich vor ihm auf den Boden.
    »Steh auf, Nus-Nus! Wo ist das Buch?«
    Mein armes, geschwächtes Bewusstsein hat sich noch keine plausible Erklärung für den Verbleib des geschändeten Korans überlegen können. Während ich die Stirn auf die kalten Kacheln presse, schießt mir die Vorstellung durch den Kopf, wie die Leute fragen: Ist er tapfer gestorben, der arme Nus-Nus? Hat er viel Blut vergossen? Was waren seine letzten Worte?
    »Das Buch, mein Junge! Steh auf und hol es. Wie sollen wir sonst meine Änderungen festhalten?«
    Ich brauche ein oder zwei Sekunden, bis die Bedeutung seiner Worte in mein benebeltes Gehirn eingedrungen ist, und unter der Welle der Erleichterung, die über mir zusammenschlägt, sind meine Beine einen Augenblick lang wie gelähmt. Dann rappele ich mich auf, renne zurück in mein Zimmer und komme mit der Schreibschatulle und dem Buch in der Hand wieder zurück.
    Ismail lässt mich nicht aus den Augen. Er zupft an seinem dunklen und sauber gegabelten Bart. Die glänzenden Augen sind schwarz, die Lider schwer und umschattet. Ein Funke von Belustigung liegt in seinem Blick, als wüsste er etwas, im Gegensatz zu mir, das durchaus mit dem Zeitpunkt und der Art meines Scheidens aus diesem irdischen Leben zu tun haben könnte. Doch heute ist er in Grün gekleidet, ein gutes Zeichen. Grün ist seine Lieblingsfarbe – und die des Propheten – und scheint zu signalisieren, dass er nicht ans Blutvergießen denkt. Rot hingegen – oder Gelb – ist etwas anderes, dann bringen wir alle uns lieber in Sicherheit.
    »Komm!«
    Er wendet mir den Rücken zu, und ich reihe mich in die große Schar der Vorarbeiter ein, dicht gefolgt von Kaid Mohammed ben Hadou Ottur – auch bekannt als al-Attar , der Hausierer, der sich mit drei anderen Koryphäen des Hofes unterhält, und ganz zuletzt dem hajib , dem Großwesir und Obersten Minister Si Abdelaziz ben Hafid. Letzterer schließt jetzt zu mir auf.
    »Alles in Ordnung, Nus-Nus? Du scheinst ein bisschen außer Atem zu sein.« Seine fleischigen Lippen sind zu einem Lächeln verzogen, doch seine Augen bleiben davon unberührt. Wir alle hier tragen unsere Maske.
    »Sehr gut, Sidi, vielen Dank.«
    »Alhamdulillah!«
    »Dank sei
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