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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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hatten, lief alles wie am Schnürchen – soweit man das von einer solchen Operation sagen konnte. Sie fand übrigens in Cranes Wohnzimmer statt.
    Das abgestorbene Gewebe erstreckte sich mittlerweile bis weit über das Handgelenk hinaus, und Crane setzte die Säge deshalb in der Mitte des Unterarms an. Eine so genannte Knochensäge, wie er erklärte, die speziell für diese Aufgabe konstruiert sei. Trotzdem lief ihm nach getaner Arbeit der Schweiß von der Stirn, und das lange Sägeblatt erwies sich bei Berührung als so heiß, dass er sich daran verbrannte. Er hatte vorsorglich einen Eimer unter die zum Tode verurteilte Hand platziert, doch entweder die Hand fiel falsch oder der Eimer stand falsch, jedenfalls landete sie auf dem Boden. Da die Operationswunde seine volle Aufmerksamkeit verlangte, konnte er sich darum jedoch nicht kümmern, also tat ich es. Ich hob Charlies Hand auf. Sie war weder besonders schwer noch leicht, aber sie blutete erheblich aus ihrem offenen Ende, weswegen ich sie über den Eimer hielt. Seltsam, wie ich sie am Handgelenk hielt, etwas, das ich zu Lebzeiten der Hand nie getan hatte und was mir jetzt die Schamesröte ins Gesicht trieb, so fremd war mir das alles. Vor allem, da ich mit dem Daumen auch noch die rauen schwarzen Härchen streichelte. Aber ich fühlte mich meinem Bruder sehr nahe, als ich das tat. Ich stellte die Hand senkrecht in den Eimer und trug den Eimer hinaus, denn Charlie sollte nichts davon sehen, wenn er erwachte. Nach der Operation, bandagiert und mit Morphium vollgepumpt, legten wir ihn auf eine Pritsche, und Crane sagte, ich könne draußen ruhig etwas Luft schnappen, da Charlie so schnell nicht erwachen würde. Ich dankte ihm und ging hinaus, wanderte bis ans andere Ende der Stadt, wo ich zu jener Gaststätte gelangte, in der ich schon auf dem Hinweg gewesen war. Ich setzte mich an denselben Tisch wie damals, und es erschien derselbe Kellner. Er erkannte mich gleich und fragte im Spaß: »Wieder Möhren mit Grünzeug, Mister?« Doch nach der schaurigen Operation, die sogar auf meiner Hose Blutspritzer hinterlassen hatte, war mir der Appetit gründlich vergangen, deshalb bestellte ich nur ein Glas Bier. »Sind Sie jetzt endgültig unter die Hungerkünstler gegangen?«, fragte er und schnaubte verächtlich in seinen Bart. Ich fand den Ton nicht mehr witzig und sagte: »Mein Name ist Eli Sisters, du verdammter Hurensohn, und wenn du mir nicht sofort bringst, was ich bestellt habe, blase ich dir den Schädel weg.« Sein dämliches Grinsen erstarb auf der Stelle, und seine guten Manieren kehrten zurück, wenngleich mir das Bier mit zittriger Hand serviert wurde. An sich sind Drohungen und einschüchternde Reden gar nicht meine Art, schon gar nicht so ordinäre, daher ging ich auf dem Rückweg mit mir ins Gericht: Ich muss meine Ruhe und meine Friedfertigkeit zurückgewinnen, dachte ich. Ich dachte: Ich brauche Ruhe. Ich will ein Jahr lang nichts anderes tun, als zur Ruhe zu kommen. Was somit beschlossen war. Mehr noch, es war eine Entscheidung, die ich später sogar in die Tat umsetzte und über die Maßen genoss: zwölf Monate, in denen ich nichts tat, als auszuruhen und nachzudenken und gelassen und weise zu werden. Doch wusste ich, ehe dieser Traum in Erfüllung gehen konnte, hatte ich noch eine Sache zu erledigen – und zwar allein.

Es war schon nach zehn Uhr abends, als wir endlich an unserem Haus außerhalb von Oregon City eintrafen. Die Tür war eingetreten, und alle Möbel waren umgeworfen und kaputt gemacht. Ich ging ins Hinterzimmer und war nicht sonderlich überrascht, dass auch unsere Ersparnisse, die wir in der Aussparung hinter dem Spiegel versteckt hatten, nicht mehr da waren, immerhin zweitausendzweihundert Dollar. Stattdessen fanden wir einen Zettel, auf dem Folgendes stand:
    Lieber Charlie,
    ich weiß, ich bin ein Bastard, weil ich alle deine $ $ $ genommen habe. Ich bin betrunken, aber ich glaube nicht, dass ich es zurückgebe, wenn ich wieder nüchtern bin. Habe mir dann auch die $ $ $ von deinem Bruder genommen, was mir echt leidtut, Eli. Ich mochte dich eigentlich, außer wenn du mich schräg angeguckt hast. Mit den $ $ $ gehe ich jetzt weit weg, ihr könnte ja versuchen, mich zu finden, wünsche viel Glück. Ich glaube aber, ihr habt den Verlust bald wieder drin, so, wie ihr bisher verdient habt. Ihr habt ja ein Händchen fürs Geld. Eigentlich will ich mich nicht auf diese miese Tour verabschieden, aber so bin ich eben und war auch nie anders.
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