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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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Kommodore nahm das gesamte Obergeschoss des großen Hauses ein, allerdings fehlten die Zwischenwände. Trotzdem standen die Möbel so, als wären welche da. Abgesehen von vereinzelten Wand- und Tischleuchten war alles dunkel. Ganz hinten, hinter einem chinesischen Wandschirm, stieg bläulicher Zigarrenrauch auf. Da hörte ich plötzlich die Stimme des Kommodore und erstarrte, weil er anscheinend doch nicht allein war. Aber je länger er sprach, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass er lediglich Selbstgespräche führte, denn ich hörte nie jemanden antworten. Er saß in der Badewanne und hielt eine imaginäre Rede, und ich dachte bei mir: Woran liegt es nur, dass die Leute ausgerechnet in der Badewanne anfangen, mit sich selber zu reden? Ich umklammerte mein Messer fester und drang in das Zimmer vor, achtete aber darauf, stets auf den Teppichen zu bleiben, um möglichst wenig Lärm zu machen. Schließlich lugte ich mit erhobenem Messer um den Wandschirm, bereit, seinem nackten Herzen den tödlichen Stich zu versetzen, doch ließ ich den Arm langsam wieder sinken, denn seine Augen waren von einem Waschlappen bedeckt. Dies also war der mächtige Mann, dessen schädlicher Einfluss bis in den hintersten Winkel des Territoriums zu spüren war, und dieser Mann saß besoffen in einer kupfernen Sitzwanne. Ein unbehaartes Männchen mit Hühnerbrust und einer dicken Zigarre, der jeden Moment die Asche abbrechen konnte. Und es sagte mit näselnder Fistelstimme:
    »Gentlemen, es handelt sich um eine Frage, die mir schon oft gestellt wurde, und die ich heute Ihnen stelle. Wollen wir einmal sehen, ob Sie die Antwort kennen. Also: Was macht einen Mann zu einem wahrhaft großen Mann? Jetzt werden die einen auf das persönliche Vermögen verweisen, andere auf seine Charakterstärke. Manche werden sagen, dies ist ein großer Mann, der nie die Beherrschung verliert, wieder andere halten denjenigen für groß, der den Herrn seinen Gott mehr als alles andere verehrt. Ich aber bin gekommen, Ihnen mitzuteilen, was einen Mann wahrhaft zu einem großen Mann macht. Ich verbinde dies mit der Hoffnung, dass Sie mich nicht nur anhören, sondern dass Sie meine Worte in Ihre Herzen und Ihre Seelen einlassen, auf dass Ihnen offenbar werde, wie ich die Chose sehe. Denn es stimmt, ich wünsche mir nichts mehr, als auch Ihnen, Gentlemen, das Geheimnis wahrer Größe zu enthüllen.« Er nickte und hob die Hand, als wolle er, bescheiden, den brandenden Applaus bremsen. Ich trat noch einen Schritt näher, richtete die Klinge auf sein Gesicht. Ich wusste, ich musste ihn töten, solange die Gelegenheit so günstig war, gleichzeitig aber wollte ich hören, was er weiter zu sagen hatte. Er senkte die Hand und sog ausgiebig an seiner Zigarre, wodurch die verglühte Spitze endlich abbrach und zischend ins Wasser fiel. Ohne hinzusehen, verwedelte er die Asche mit den Fingerspitzen. »Danke«, sagte er. »Vielen, vielen Dank.« Dann eine Pause, in der er tief Luft holte. Denn das, was jetzt kam, sprach er mit großer Emphase und ebenso laut. »Ein großer Mann ist derjenige, der eine Leerstelle in der materiellen Welt mit der Essenz seiner eigenen Person zu füllen vermag. Ein großer Mann ist derjenige, der selbst dort Glück hat, wo andere nie Glück hatten – vermöge reiner Willenskraft. Ein großer Mann ist derjenige, der etwas aus dem Nichts schafft. Und glauben Sie mir, Gentlemen, sollte Ihnen dies gelingen, dann ist die Welt um Sie herum auch nicht mehr als ein Nichts.«
    Im nächsten Moment hatte ich ihn. Ich warf das Klappmesser beiseite und drückte seine Schultern nieder, bis sein Kopf unter Wasser tauchte. Er begann sogleich wie wild zu spritzen und um sich zu schlagen. Er hustete und würgte und machte Geräusche, die sich anhörten wie » Heck-heck-heck «. Da meine Beine gegen die Wanne gepresst waren, spürte ich die Schwingungen dieser Geräusche in meinem ganzen Körper. Der Überlebensinstinkt des Kommodore war erwacht, und seine Abwehr wurde heftiger. Doch auf dem Mann lastete mein ganzes Gewicht, sodass er wenig ausrichten konnte. Ich fühlte mich stark und im Recht, nichts in der Welt konnte mich davon abhalten, diesen Auftrag zu Ende zu bringen.
    Der Waschlappen war ihm vom Gesicht gerutscht, und er starrte mich aus dem Wasser heraus an. Obwohl ich ihn eigentlich nicht angucken wollte, erschien es mir nur fair, solches zu tun. Ich senkte meinen Blick also auf seine Augen und war erstaunt, was ich dort sah, nämlich nichts als Angst und
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