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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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doch es schien, je mehr wir kämpften, desto mehr langten auch sie zu. Richtig Angst bekam ich, als Charlie vor Schmerz aufheulte, weil ihm seine Hure soeben den Absatz in die verletzte Hand gebohrt hatte. Da konnte sogar einer wie ich nicht mehr an mich halten, und biss der Hure, die mir am nächsten war, durch den Stoff in ihren stinkenden Wanst und versenkte meine Zähne in ihr verworfenes Fleisch. Sie wurde deswegen fuchsteufelswild, zog mir meine Pistole aus dem Holster und hielt sie mir direkt an die Schläfe. Da sagte ich nichts mehr, denn ihre hasserfüllten Augen ließen keinen Zweifel, dass sie mich erschießen würde. Ich erwartete, im schwarzen Loch der Mündung jederzeit dieses kleine weiße Licht zu sehen. Doch Fehlanzeige. Die Huren hatten sich ausgetobt, ließen wortlos von uns ab und gingen davon, allerdings unter Mitnahme unserer Waffen und unserer gesamten Barschaft. Allein das Geld in unseren Stiefeln blieb uns, weil sie dort nicht nachgesehen hatten.



Kurz darauf sackte ich im heißen Staub dieser sterbenden Stadt zusammen und lag eine ganze Weile ohnmächtig auf der Straße. Als ich in der Abenddämmerung erwachte, stand das kleine Mädchen von meinem ersten Besuch vor mir. Sie trug ein neues Kleidchen und eine große rote Schleife in ihrem sichtlich frisch gewaschenen Haar. Die Hände hatte sie artig vor der Brust gefaltet, und in ihrer ganzen Haltung lag eine gespannte Erwartung. Sie sah aber nicht mich an, sondern Charlie. »Da bist du ja wieder«, sagte ich, doch sie entzog mir mit einer Geste kurzerhand das Wort und deutete stattdessen auf Charlie, der ein Einmachglas in der Hand hielt. Am Grund des Einmachglases wirbelten schwarze Körnchen im Kreis, und ich sah, wie beim ersten Mal, Spuren den Gifts an ihren Fingern. Als Charlie das Einmachglas zum Mund führte, schlug ich es ihm aus der Hand. Das Einmachglas zerbrach jedoch nicht, sondern landete in einer Schlammpfütze, wo es auslief. Das Mädchen sah mich böse an. »Warum hast du das getan«, fragte sie.
    Ich sagte: »Ich wollte mit dir über das reden, was du beim letzten Mal gesagt hast.«
    Den Blick gedankenverloren auf das leere Einmachglas gerichtet, sagte sie: »Was habe ich denn beim letzten Mal gesagt?«
    »Du sagtest, ich hätte einen Schutzengel, erinnerst du dich?«
    »Ich erinnere mich.«
    »Bitte sage mir: Stimmt das noch immer?«
    So, wie sie mich anschaute, war mir klar, dass sie die Antwort wusste, doch sie sagte nichts.
    »Kann mir auch wirklich nichts passieren?«, bohrte ich weiter.
    Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen – und machte ihn wieder zu. Sie schüttelte den Kopf. »Das verrate ich dir nicht.« Ihr Kleidchen bauschte sich, als sie sich umdrehte und ging. Ich suchte nach einem Stein, den ich nach ihr werfen konnte, aber ich fand keinen. Charlie starrte immer noch auf das Einmachglas im Schlamm. »Ich habe verdammt noch mal Durst«, sagte er.
    »Sie wollte dich totmachen«, sagte ich.
    »Wer sie?«
    »Ich habe schon gesehen, wie sie den Hund vergiftet hat.«
    »Was, das hübsche kleine Ding? Warum um alles in der Welt sollte sie das tun?«
    »Ganz einfach. Weil sie böse ist. Und weil es ihr Spaß macht, Böses zu tun.«
    Charlie blinzelte in den violetten Himmel. Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen und sagte: »Na dann, gute Nacht, böse Welt.« Er lachte. Ein, zwei Minuten später und er war eingeschlafen.

Ein Arzt in Jacksonville nahm Charlie dann die Hand ab. Die Schmerzen ließen zwar immer weiter nach, doch das Fleisch faulte vor sich hin, und am Ende blieb nur die Amputation. Der Arzt hieß Crane und war schon älter. Jedoch hatte er ein klares Auge und eine ruhige Hand. Er trug eine Rose im Knopfloch, und es gab nicht einen Moment, in dem ich seinem Urteil misstraute, denn er war ein Mann von Prinzipien. Als ich ihm unsere finanzielle Lage schilderte, schien es ihn kaum zu interessieren, so, als sei Geld ein nachrangiges Problem. Und als Charlie die Branntweinflasche zückte, weil er sich vor dem Eingriff noch schnell in die Bewusstlosigkeit saufen wollte, war er strikt dagegen. Der Alkohol, sagte er, könne zu massiven Blutungen führen. Aber Charlie war das egal, er wolle es so, und nichts in der Welt könne ihn davon abhalten. Schließlich nahm ich Crane beiseite und empfahl, Charlie einfach die doppelte Dosis Schmerzmittel zu verabreichen, dann würde sich alles von selbst regeln. Crane war so klug, mir zu vertrauen. Nachdem wir meinen Bruder also gehörig sediert
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