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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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mit dir», beharrte Eva.
    David streichelte ihren Arm. «Wenn du mit mir gehst, so wird es heißen, ich hielte dich zurück. Es ist besser, wenn du bleibst.»
    David küsste sie auf die Wange, dann ging er. Eva aber blieb. An der Seite Utes wandelte sie durch die Gänge, tanzte mit Johann von Schleußig, der sich als Seemann verkleidet hatte und Christoph Kolumbus genannt werden wollte. Sie kostete vom heißen Würzwein, der ihr ein wenig zu Kopfe stieg und sie ausgelassen sein ließ. Sie traf Adam in Begleitung der Begine Hildegard, die sich als Magisterin verkleidet hatte. Als die beiden sich verabschiedeten, trat sie mit einem Glas Wein in der Hand ans Fenster. Der Burgplatz glich einem Jahrmarkt. Überall brannten Fackeln, noch immer schneite es. Eva öffnete ein Fenster und schöpfte tief Luft. Regina ging Arm in Arm mit einem Zimmergesellen, der sich eine Hörnerhaube auf den Kopf und einen Schwanz an den Hosenboden geklebt hatte. Priska trottete nebenher, als bemerke sie den Trubel nicht.
    Eva hielt nach Susanne Ausschau, doch sie konnte sie nirgendwo entdecken.
    Plötzlich war sie des Treibens müde. Der Wein hatte ihr den Kopf schwer gemacht, der Lärm dröhnte ihr in den Ohren.
    Sie nahm ihren Umhang, verabschiedete sich von Ute und verließ die Pleißenburg. Draußen hielt sie Ausschau nach dem Stadtknecht, um sich nach Hause geleiten zu lassen, doch der Büttel war nicht da.
    Eva begann zu frieren. Sie mochte nicht länger auf den Büttel warten und beschloss, auf den unbelebten Nebenstraßen nach Hause zu gehen.
    Sie eilte die Burgstraße entlang, kam an der Thomaskirche vorbei und bog in die Klostergasse ein. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, nur von weit her drang der Lärm des Marktes. Ein unbehagliches Gefühl beschlich Eva. Obwohl die Gasse still und dunkel lag, kam es ihr vor, als wäre jemand ganz in ihrer Nähe.
    Sie blieb stehen und drehte sich um. Da war niemand. Sie atmete auf, schalt sich eine törichte Gans, wandte sich wieder um – und schrie auf!
    Vor ihr stand ein Mann mit einer silbernen Maske, die bis zum Kinn reichte und sein Äußeres verbarg. Eine Maske, die sie schon einmal gesehen hatte. Die silberne Maske des toten Mädchens von Frankfurt!
    Der Mann riss ihr die Verkleidung vom Gesicht und stieß sie zu Boden. Er stand über ihr, hatte plötzlich einen schweren Stein in der Hand, holte aus, um ihr das Gesicht zu zertrümmern. Eva sah die Augen unter der Maske blitzen, schlug die Arme vor das Gesicht und wollte schreien, doch nur ein Krächzen kam aus ihrem Mund. Zitternd wartete sie auf den Schlag. Sie roch den Schnee, fühlte Flocken auf der Stirn, sie wartete – doch nichts geschah.
    Langsam nahm sie die Arme vom Gesicht und öffnete die Augen. Über ihr stand David, hielt die silberne Mördermaske in der einen, den Stein in der anderen Hand und starrte sie an.
    «Ich kann es nicht», sagte er. «Auch wenn es meinen Tod bedeutet, kann ich dich nicht töten. Ich liebe dich, Eva, habe dich immer geliebt.»
    Er legte die Finger der rechten Hand an seine Lippen, hauchte einen Kuss darauf und warf ihn Eva zu, dann wandte er sich um und rannte davon.
    Sie blieb liegen. Der Schreck und die Angst hatten ihre Glieder steif gemacht. Sie lag im Dreck, hatte die Augen zum Himmel gerichtet und bemerkte nicht, dass die Schneeflocken ihr Gesicht bedeckten. Sie lag und starrte, unfähig, etwas zu denken, unfähig, sich zu rühren.
    Als Johann von Schleußig sich neben sie kniete, sie in seine Arme nahm und darin wiegte, begann sie zu weinen.
    «Es ist alles gut, Eva», sagte der Priester. «Ich bin bei Euch. Ich sah vom Fenster, wie Ihr allein über den Burgplatz lieft, und bin Euch gefolgt.»
    Behutsam zog er sie hoch, wischte den Schnee aus ihrem Gesicht und legte seinen Umhang um die zitternde Frau. «Ich bringe Euch nach Hause.»
    Noch immer hatte Eva kein Wort gesagt. Sie stützte sich auf den Arm des Priesters, zitterte am ganzen Körper, sodass ihre Zähne klappernd aufeinander schlugen.
    Als sie endlich das Haus in der Hainstraße erreicht hatten, fanden sie Susanne, die im Flur auf einer gepackten Reisetruhe saß.
    Auch ohne dass die Stiefschwester ein Wort sagte, wusste Eva, auf wen Susanne wartete.
    «Er kommt nicht», sagte Eva. «Er kommt nie mehr und auch keine Kutsche, die dich zu ihm bringt.»
    Susanne nickte. Dann stand sie auf, hüllte sich in ihren Umhang, band die Haube fest und blickte Eva an. «Gott verzeih mir», sagte sie – und ging.
    Eva sah ihr nicht nach.
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