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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Weigand
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Vorsteher des Ältestenrats, kraulte sich bedächtig den Bart, bevor er antwortete. »Nun, das ist außergewöhnlich, wenn auch nicht verboten. Glaubt Ihr denn, Levi, dass Eure Tochter – immerhin ist sie nur ein Mädchen, wenn auch vielleicht ein kluges – dem Unterricht im Kopf folgen kann?«
    Levi warf sich in die Brust. »Davon bin ich überzeugt.«
    »Es geht ja nicht nur um Lesen und Schreiben«, warf einer der Gemeindevorstände ein, »schließlich muss sie dabei Hebräisch lernen, eine fremde Sprache! Ich kann nicht glauben, dass ein Mädchen zu solch einer Leistung fähig ist … «
    »Meine Großmutter konnte besser Hebräisch als jeder andere«, entgegnete Baruch, der Schächter, und Levi warf ihm einen dankbaren Blick zu. »Warum sollen wir es die Kleine nicht versuchen lassen, wenn sie es so gern will und kein Gesetz dagegensteht? Es kostet schließlich nichts und tut keinem weh.«
    Der Barnoss wackelte unschlüssig mit dem Kopf. »Ich weiß nicht, Levi Lämmlein. Wenn nun alle Mädchen Lesen und Schreiben lernen wollten, wo kämen wir denn da hin?«, meinte er. »Am Ende wollen die Weiber gar am Schabbat Kiddusch machen!«
    Alle lachten, und die meisten Teilnehmer der Versammlung pflichteten ihm bei. So einfach war die Sache nicht.
    Levi ließ die Männer eine Weile reden. Dann blickte er mit einem kleinen, traurigen Lächeln in die Runde. »Seht, meine Brüder, ich habe keinen Sohn. Das Schicksal hat mich und mein Weib nicht begünstigt, und wir haben Trost im Glauben gefunden. Wenn wir einmal alt sind und unsere Augen schlecht, soll jemand in unserem Haus aus den heiligen Büchern lesen können … «
    Die Männer des Gemeindevorstands, alles stolze Väter von Söhnen, nickten mitfühlend. Man beschloss, mit dem Rabbi zu reden.

    Drei Tage später wurde Sara in aller Frühe sorgfältig gewaschen und in saubere neue Kleider gesteckt. Sie war glücklich und dabei schrecklich aufgeregt. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, endlich die bunten Buchstaben der Haggada und des Buches Esther lesen zu können, die so wunderhübsch in Reih und Glied über die Seiten liefen. Monatelang hatte sie ihrem Vater in den Ohren gelegen mit ihrer verrückten Idee, zur Schule zu gehen, bis er es schließlich erlaubt und versprochen hatte, mit der Gemeinde zu reden. Und nun ging ihr größter Wunsch in Erfüllung. Sie konnte es kaum erwarten.
    »Halt jetzt endlich still«, schimpfte Schönla, während sie den beinernen Kamm durch das widerspenstige Haar ihrer Tochter zog und versuchte, die langen bernsteinfarbenen Flechten zu entwirren. Sara trippelte von einem Fuß auf den anderen, bis die Zöpfe endlich fertig waren, dann stürmte sie voll Neugier und Vorfreude in die Wohnstube. Da lagen sie schon auf dem Tisch, die drei kleinen duftenden Laibe aus feinem Weizen und Honig, dazu drei Eier und drei rotwangige Äpfel. So verlangte es der Brauch. Auch ihr Vater stand schon bereit; gemeinsam mit der Mutter packte er die guten Sachen in ein mit Segenssprüchen besticktes Tuch. Er nahm seinen Tallit, den feinen Gebetsmantel mit den langen Fransen, und legte ihn Sara behutsam um Kopf und Schultern. »Bereit?«, fragte er schmunzelnd. Sie nickte, vor Aufregung brachte sie kein Wort heraus.
    Dann trat sie hinter ihrem Vater durch die Haustür, eine Doppeltür aus zwei Rundbögen, die an die Gesetzestafeln des Moses erinnern sollte. Stolzgeschwellt führte Levi seine Tochter den kurzen Weg über den Rathausplatz zum Fraueneingang der Synagoge.
    Drinnen warteten schon der Rabbi Meir Baruch und Feifl Isaak, einer der Gemeindevorstände. Nach einer ehrfürchtigen Begrüßung wurden die mitgebrachten Leckereien auf einem Tischchen ausgebreitet, und Sara durfte von allem ein Häppchen essen. Sie brachte kaum einen Brocken hinunter, spuckte den letzten Bissen, den sie so trocken gekaut hatte, dass sie ihn gar nicht mehr hinunterbrachte, verstohlen in die Hand und ließ ihn in ihrer Rocktasche verschwinden. Der Rabbi tat, als hätte er es nicht gesehen, verbiss sich ein Lachen und führte sie in den Schulraum.
    Elf Köpfe fuhren herum, und elf Paar Augen blickten Sara mit unverhohlener Neugier an. Lauter Jungen, die meisten um etliches älter als sie, saßen da schon auf kleinen Bänken. Rabbi Meir führte seine neue Schülerin auf einen Platz, der ein Stück weit von den anderen entfernt war, und drückte ihr feierlich eine kleine Wachstafel in die Hand, auf der in wunderschönster Schönschrift schon das Alphabet geschrieben stand. Sara
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