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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Weigand
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lächelte, während ihr Lehrer langsam und deutlich die einzelnen Buchstaben vorlas. Anschließend brachte ihm einer der Schüler, wie es der Brauch verlangte, ein Krüglein Honig. Der Rabbi goss etwas von dem dickflüssigen Zeug auf die Tafel, verschmierte es mit einem kleinen Spatel, und hielt die Tafel dann Sara hin. »Lieblich und süß wie der Honig ist das Lernen«, sagte er zu ihr und zwinkerte aufmunternd. Sara griff mit beiden Händen zu und schleckte den süßen, klebrigen Saft vom Wachs, bis kein Tröpfchen mehr übrig war. Zufrieden und erleichtert, mit honigverschmiertem Kinn und pappigen Händen, ließ sie sich danach von ihrem Vater wieder aus der Synagoge hinausführen, heim zu ihrer Mutter.
    So verlief der erste Schultag.

    In den folgenden Wochen lernte Sara schmerzhaft, was es bedeutete, anders als die anderen zu sein. Keiner der Jungen redete mit ihr. Keiner half ihr. Im Unterricht taten sie, als sei sie gar nicht da, in den Pausen warfen sie ihr nichts als abschätzige Blicke zu. Sie stand abseits und fühlte sich ganz klein und einsam. Irgendwann fing einer der größeren Schüler an, sie beim Verlassen der Synagoge zu schubsen und zu rempeln, Und die anderen taten es ihm bald nach, zogen an ihren Zöpfen, versteckten ihr Täfelchen, zischten ihr schlimme Worte nach. Sie wagte nicht, sich zu wehren, denn sie wusste ja, dass ihr Schulbesuch eine Ausnahme darstellte. Wenn jemand merkte, dass es Schwierigkeiten gab, würde sie vielleicht wieder zu Hause bleiben müssen. Und das wollte sie auf gar keinen Fall. Zu schön war es zu lernen, wie sich aus den schlangenartigen Buchstaben Wörter formen ließen, sie mit dem kleinen Holzstäbchen ins Wachs zu drücken. Geschichten zu lauschen aus alter Zeit und aus neuer. Die fremde Sprache zu hören mit ihrem seltsamen Klang. Dem Rabbi Fragen stellen zu können über alles, was sie nicht wusste. So marschierte Sara jeden Morgen mit trotzig vorgerecktem Kinn in die Synagoge, auch wenn sie sich in der Nacht davor in den Schlaf geweint hatte. Sie würde keine Schwäche zeigen!
    Ihre Standhaftigkeit fand ein Ende, als zwei der Jungen, Herschel Enoch und Süßkind Männlein, sie an einem Regentag nach der Judenschule abpassten. Schon den ganzen Vormittag über hatten die beiden sie mit Wachskügelchen beschossen, immer dann, wenn der Rabbi nicht hinsah. Beim Hinausgehen kämpfte Sara wie so oft mit den Tränen, als Süßkind vor dem Fraueneingang begann, um sie herumzutanzen. Er stapfte dabei so wild in die Pfützen, dass die Wasserspritzer Saras Schulkleid trafen, ihr einziges, das wunderschöne neue aus hellem Leinen. Herschel riss dazu an ihren Haaren, während die anderen herbeirannten, um zuzusehen. »Nicht!«, rief Sara, »bitte nicht!«
    »Dann bleib doch daheim, du Ziege!«, zischte Herschel. »Weiber haben bei uns nichts zu suchen.«
    »Du bist hässlich und dumm«, plärrte Süßkind und streckt ihr die Zunge heraus. »Hau ab, wir wollen dich nicht.« Er schnappte sich den Riemen ihres Schulbeutels und zog sie daran herum, so dass sie sich immer schneller um ihre eigene Achse drehen musste. Sara kam ins Taumeln, als der Riemen riss, schrie auf und fiel hin, genau in die schlammigste Pfütze von allen. Die Jungen lachten hämisch und zeigten mit Fingern auf sie, einer nahm einen Dreckklumpen und warf ihn nach ihr. Da war es mit ihrer Beherrschung endgültig vorbei. Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
    » Lasst sie!«, sagte da plötzlich eine helle Stimme, und eine Hand legte sich auf ihre Schulter. »Ihr seid gemein. Der Barnoss hat beschlossen, dass sie in die Schule darf. Ich will’s meinem Vater sagen, wenn ihr sie nicht in Ruhe lasst! Und dem Rabbi!«
    Ungläubig blickte Sara auf. Es war Salomon Hirsch, der zehnjährige Sohn des Geldverleihers Hirsch Gideon, der ihr zu Hilfe gekommen war und ihr jetzt mit einem aufmunternden Lächeln die Hand hinstreckte. »Es stimmt gar nicht, dass du hässlich bist«, sagte er. »Und dumm auch nicht. Die sind bloß neidisch.« Sie ließ sich von ihm hochhelfen, immer noch schluchzend, und während er den klatschnassen Lederbeutel aufhob und ihr über die Schulter warf, verdrückten sich die anderen Jungen einer nach dem anderen. Der Spaß war vorbei.
    »Komm, ich bring dich heim«, meinte Salomon mit der tiefsten Stimme, zu der er fähig war. Er fand langsam Gefallen an der Beschützerrolle. Sara nickte und schnäuzte sich geräuschvoll in den nassen Ärmel. Während sie so gingen, sah sie
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