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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Weigand
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sie ja – sofern er wollte. Sie durften kein Handwerk ausüben, denn das kontrollierten schließlich die Gilden und Zünfte. Und sie durften kein Land bebauen, das tat ja schon der Bauernstand. Allein weil den Christen verboten war, Zins zu nehmen, hatten die Juden überhaupt einen Lebensunterhalt, nämlich den, Geld zu verleihen. Allerdings nur, solange ihnen ihr Herr und König nicht in den Rücken fiel, so wie jetzt. Brauchte er Kapital, holte er es sich eben von »seinen« Juden. Wollte er den Städten oder dem Adel Geld zukommen lassen, waren dafür die Juden gut. Begehrte die Kirche etwas von ihm, nun, so durfte sie es sich von den Juden nehmen. Levi spürte, wie er zu zittern begann. Widerstand war nicht möglich, wie auch? Die Judengemeinden im Reich mussten ja froh sein, dass Wenzel sie vor Verfolgung schützte, und diesen Dienst ließ er sich wahrlich gut bezahlen. Ja, die Reichsjudenschaft war der Willkür ihres Herrn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Auch wenn es den Bankrott bedeutete. Wen kümmerte schon das jämmerliche Leben eines Christusmörders? Aus, dachte Levi, aus und vorbei. Er brauchte gar nicht anfangen zu rechnen. In letzter Zeit hatte er ein paar risikoreiche Geschäfte getätigt. Er besaß derzeit keine Rücklagen, keine Sicherheiten, keinen Grundbesitz. Levi Lämmlein, der reiche Geldjude von Siegburg, hatte mit einem Schlag alles verloren.
    Während also Schönla auf ihrem Geburtsstuhl in einer letzten furchtbaren Anstrengung das Kind aus sich herauspresste und erschöpft, aber glücklich in die gepolsterten Lehnen zurücksank, saß der Vater des Neugeborenen an seinem Schreibtisch und weinte.

    So kam Sara auf die Welt als Tochter eines bettelarmen Mannes. Nie konnte ihr Vater sie ansehen, ohne daran zu denken, dass der Tag ihrer Geburt gleichzeitig die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches nach einem Kind, aber auch das jähe Ende seines Wohlstands mit sich gebracht hatte. Und als seine Tochter ihre winzigen Lungen zum ersten Mal mit der feuchten, kühlen Oktoberluft füllte, schien es Levi, als brülle sie ihren Protest gegen die Willkür des Königs mit durchdringender Lautstärke in die ungerechte Welt hinaus.

    Kaum sechs Wochen später musste die Familie das Haus verlassen. Levi hatte den alten Mordechai und die beiden Mägde ausbezahlt und den meisten Hausrat verkauft; was ihnen noch übrig blieb, passte auf einen Eselskarren. Schönla wäre so gern in ihrer Heimatstadt geblieben, nur, wovon hätten sie leben sollen? Ihr Mann hatte kein Kapital mehr, um Geld zu verleihen, und die kleine jüdische Gemeinde, die aus gerade einmal fünf Familien bestand, konnte ihnen kein anderes Auskommen bieten. Also mussten sie woanders hin, am besten in eine Stadt mit zahlreicher Judenschaft, wo man ihnen helfen konnte, wieder auf die Füße zu kommen. Und, aber daran mochte Levi gar nicht denken, wo die Armen im schlimmsten Fall ein paar Pfennige aus der Gemeindekasse bekamen, um sich am Leben zu erhalten. Bitterste Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er den Karren mit dem Wenigen belud, was sie noch besaßen: Kleider, ein paar Möbel, Leintücher und Decken, der schwere, versilberte siebenarmige Leuchter, ein Erbstück seiner Frau, die wichtigsten Haushaltsgegenstände. Gott sei Dank hatte sich Schönla von der schwierigen Geburt erstaunlich schnell erholt, und die Kleine war gesund genug, um eine weite Fahrt zu überstehen. Levi zurrte die Seile fest, die seine Habe auf dem Gefährt hielten, und überprüfte das Zaumzeug des mageren, alten Maultiers, das ihm die Nachbarn geschenkt hatten. Schönla saß schon auf dem Karren, das Gesicht tränenüberströmt, die schlafende Sara im Arm. Ihm blieb nur noch, die Mesusa aus dem Türstock zu brechen, die kleine Metallkapsel, deren Inneres zwei handgeschriebene Thorasprüche und den Namen des Herrn barg. O Adonai, betete er dabei, lass uns ein neues Heim finden, an dessen Tür ich Deinen heiligen Namen wieder lesen darf.
    Dann stieg er auf den Wagen und schnalzte mit der Zunge. Sie würden ihr altes Leben für immer hinter sich lassen und mit Gottes Hilfe ein neues beginnen.

Irgendwo im Süden Englands, zur selben Zeit
    Es regnete, und der Wald war schwarz wie Pech. Die Männer ritten durch die Nacht als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her, und vielleicht stimmte das auch. Nasse Zweige schlugen ihnen ins Gesicht, die Pferdehufe schleuderten Wurzelstücke und Erdklumpen hoch. Sie wagten nicht, in der Finsternis zu galoppieren;
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