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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Weigand
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der die Flamme weiterträgt. Er wird mein Werk fortführen, irgendwann. Bis dahin verbergt es gut.«
    Das hatten sie getan. Nicht einmal die höchsten Lollardenführer kannten den Ort. Das Geheimnis war sicher in ihrer Obhut.
    Draußen ertönte Hufgetrappel. Lady Granville fuhr hoch, die Augen schreckgeweitet. »Ist es so weit?«
    Er nickte. »Lass uns beten.«

    Drei Stunden später lebte auf Tiltenham Manor niemand mehr. Blut war überall. Es befleckte die Teppiche, die Mauern, die Möbel. Die Mörder hatten ganze Arbeit geleistet – aber sie hatten ihr Ziel nicht erreicht. Lord und Lady Granville waren gestorben, ohne ihr Geheimnis verraten zu haben. Ihre Körper sahen nicht mehr menschlich aus, als die Häscher sie verließen.
    Der Anführer stürmte durchs Haus, auf der Suche nach Hinweisen über den Verbleib der Handschrift. Er ließ alles durchsuchen, doch ohne Erfolg. Irgendwann stießen seine Männer auf eine verborgene Tür hinter einem riesigen, schweren Truhenschrank und drangen in den dahinterliegenden Raum ein.
    Das enge Gemach war nur von einigen Kerzen erhellt, deren Flackern die steinernen Mauern in rötliches Licht tauchte. In einer Ecke lag auf einem notdürftig eingerichteten Lager ein schlafendes Kind, davor, wie um einen Schatz zu verteidigen, stand mit ausgebreiteten Armen und kreidebleich eine schwerbrüstige Frau in Ammentracht. In ihrer Panik fing sie an, das Kreuzzeichen zu schlagen, immer wieder, und schließlich griff sie nach dem Kruzifix, das sie um den Hals trug und streckte es den Angreifern hin.
    »Wenn ihr diesem Kind etwas antut, wird Gott sich an euch rächen, an euch und euren Nachkommen, bis ins siebte Glied! Der Herr beschützt die Kleinsten! Dieser Junge ist so rein und unschuldig wie frisch gefallener Schnee!«
    Der Anführer drängte sich mit gezücktem Schwert in den Raum, und die Amme fiel vor ihm auf die Knie. Sie zitterte wie Espenlaub, konnte kaum die gefalteten Hände dem Mörder entgegenrecken. Der kleine Bub auf seinem Lager wachte auf und begann zu schreien.
    »Wessen Kind ist das, Weib?«, knurrte der Anführer.
    »Das Kind der Herrschaft«, jammerte die Kinderfrau und raufte sich die Haare. »Kaum ein halbes Jahr alt. O Herr, lasst meinen Liebling leben, habt Erbarmen, ich … «
    Ein sirrendes Geräusch durchschnitt die Luft, dann klaffte im Hals der Frau ein roter Schnitt. Blut sprudelte, und die Amme kippte langsam zur Seite.
    Der Anführer machte ein schnelles, unwilliges Zeichen mit der Hand. »Es ist genug«, zischte er. »Genug.«
    Er ging an der Leiche vorbei und trat zu dem brüllenden Kleinkind. Dem Sohn seines besten Freundes, den er gerade zu Tode gefoltert hatte. Und dem Sohn der süßen Elizabeth, mit der er aufgewachsen war, und die er liebte wie eine Schwester. Geliebt hatte. Ein bitterer Geschmack wie Galle lag auf seiner Zunge.
    Die Amme hatte recht. Der Junge war unschuldig. Er konnte von nichts etwas wissen, trug für nichts die Verantwortung. Wie Elizabeth hatte er pechschwarzes, lockiges Haar und helle Haut wie milchweißer Alabaster. Der Anführer griff nach dem kleinen Händchen, und der Junge hielt wütend seinen Daumen fest, mit einer Kraft, die erstaunlich für solch ein kleines Wesen war. Um seinen Hals hing ein Lederbändchen mit einem hellroten Korallenanhänger, wie man ihn kleinen Kindern gewöhnlich als Glücksbringer umband. Einer der Männer zog mit einer Hand seinen Dolch und griff mit der anderen dem Buben in den schwarzen Schopf. Von der Spitze der Waffe troff Blut.
    Der Anführer schüttelte den Kopf. »Lovelace«, sagte er tonlos.
    »Mylord?« Der stämmige Mann trat vor.
    »Bringt das Kind irgendwohin. Es soll leben.« Der Anführer wandte sich brüsk ab und ging hinaus.
    Lovelace hatte für solche Schwachheiten kein Verständnis, aber Befehl war Befehl. Er stand da, kratzte sich im fleischigen Nacken und grübelte eine Weile, bis er eine Lösung fand. Dann winkte er einen seiner Männer zu sich und deutete auf das immer noch schreiende Kind.
    »Bring das Balg nach Irland, Dermot. Du stammst doch von der Insel, oder? Eine ganze Menge Klöster gibt es dort, so hört man … Die Ketzerbrut soll im rechten Glauben aufwachsen, weit weg von hier. Und kein Wort zu irgendjemandem, bei deinem Leben.«
    Keine Stunde später brannte Tiltenham Manor. Die Mörder im Namen des rechten Glaubens hatten ihre Aufgabe erledigt; eilig ritten sie durch die Granvilleschen Ländereien in Richtung York. Am Kreuzweg vor Lutterworth löste sich
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