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Die siebte Gemeinde (German Edition)

Die siebte Gemeinde (German Edition)

Titel: Die siebte Gemeinde (German Edition)
Autoren: Stefan Link
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Hand auf die Lehne von Carls Sessel gestützt und stierte Emma an. Sie sah Unheil auf sich zukommen.
    »Hallo, Frau Kemmerling«, sagte Winfried Carl freundlich. »Schön, dass Sie Zeit hatten, nach oben zu kommen.«
    Winfried Carl war von kleiner kräftiger Statur und hatte ein rundliches Gesicht. Seine wenigen Haare, die am hinteren Teil seines Kopfes einen Kranz bildeten, waren silbrig grau. Seine stahlblauen Augen, die scheinbar ständig strahlten, glichen die fehlende Haarpracht auf beeindruckende Weise aus. Die meisten Mitarbeiter sahen in ihm den Garanten des großen Erfolges der Kanzlei ›Carl, Menner & Schmitt‹. Nicht nur, dass er eine Koryphäe in seinem Beruf war. Sein Engagement in der Politik bereiteten der Kanzlei stets lukrative Mandate.
    »Na ja«, lächelte Emma ihre Chefs gezwungen an. »Zeit wäre wohl übertrieben gesagt. Ende Februar haben wir doch nie Zeit, oder etwa nicht.«
    Winfried Carl lachte lauthals auf. »Tja, da haben Sie wohl recht, Frau Kemmerling. Deshalb wollen wir Sie auch gar nicht lange aufhalten. Lassen Sie uns kurz Platz nehmen.«
    Er wies zur beigefarbenen Sitzecke seines Büros und erhob sich blitzartig von seinem Stuhl. Wolfgang Menner sagte bisher kein Wort und folgte Carl wie ein Schatten.
    »Wir haben Sie hierher bestellt«, begann Winfried Carl, »weil wir Sie wegen der morgen beginnenden Betriebsprüfung noch einmal instruieren wollten.« Er machte eine kurze Pause und fuchtelte mit den Händen durch die Luft. »Die ›Liebig GmbH‹ … Sie wissen schon.«
    Emma nickte, antwortete jedoch nicht, wissend, dass noch mehr kommen sollte.
    »Ich weiß, dass Sie auf den Termin vorbereitet sind«, ergänzte Wolfgang Menner, »doch habe ich ein paar Lücken in den vertraglichen Gestaltungen entdeckt, die uns teuer zu stehen kommen könnten.«
    Er schob Emma eine Akte zu, die auf dem Tisch lag, und blickte sie mit strengen Augen an. Emma hasste diesen Blick und wusste, was er zu bedeuten hatte. Wolfgang Menner war das krasse Gegenteil von seinem Geschäftspartner Winfried Carl. Sämtliche Körperteile an ihm schienen künstlich in die Länge gezogen zu sein. Selbst sein Gesicht war lang und am Kinn ungewöhnlich spitz zulaufend. Er trug eine runde Nickelbrille, und seine schwarzen Haare waren mit Gel nach hinten frisiert. Manche Mitarbeiter nannten ihn daher den ›Gestapo-Mann‹. Emma glaubte, dass Wolfgang Menner von dieser Titulierung wusste und es insgeheim genoss.
    »Sämtliche Geschäftsführerverträge der GmbH«, fuhr Menner fort, »haben Sonderklauseln, die noch einmal überprüft werden müssen. Kann sein, wir müssten einige davon in der Rechtsabteilung ändern lassen.«
    »Woran arbeiten Sie gerade?«, fragte Winfried Carl eilig. »Haben Sie noch Zeit, sich heute darum zu kümmern?«
    Emma setzte sich aufrecht hin, nachdem sie kurzzeitig in den tiefen Sessel gerutscht war. Sie wusste, dass die Frage rein rhetorisch gemeint war.
    »Nun ja«, antwortete sie umsichtig, »gerade habe ich den Abschluss der Antiquitäten-Seydels auf dem Tisch liegen, und heute Nachmittag um vierzehn Uhr kommen die Büchers zur Bilanzbesprechung.« Sie atmete tief ein. »Ich weiß zwar noch nicht wann, aber irgendwie werde ich es wohl dazwischen schieben können.« Sie blickte fragend zwischen den Herren hin und her. »An wen soll ich mich wenden, wenn mir Abweichungen aufgefallen sind?«
    »An mich«, antworte Wolfgang Menner pfeilschnell. »Wir bekommen das schon hin, Frau Kemmerling«, ergänzte er mit einem warmen Lächeln.
    »So ist es!«, sagte Winfried Carl und erhob sich von seinem Platz. »Wir werden die Jungs vom Finanzamt schon klein kriegen, Frau Kemmerling. Und nun zurück an die Arbeit. Wir sehen uns morgen früh zum Eröffnungsgespräch.«
    Gesenkten Hauptes verließ Emma das Büro. »Wir bekommen das schon hin. Wir bekommen das schon hin«, wiederholte sie abfällig die Worte ihres Chefs. »Scheißdreck, wir. Ich …« Sie tippte sich auf die Brust. »Ich werde es hinbekommen.«
    Emma fühlte sich schlecht, ihr Magen rebellierte. Erneut würde sie Überstunden leisten müssen. Hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen, schlug sie als Erstes den Ordner auf, in dem sie den Papierfetzen versteckt hatte. Er war noch in dem Umschlag. Sie nahm das merkwürdige Stück Papier heraus und betrachtete es von Neuem.
    »Was auch immer du bist«, murmelte sie. »Sieht aus, als hätte ich heute keine Zeit mehr für dich.«
    Kaum hatte Emma den Satz vollendet, musste sie ihre Aussage
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