Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seilschaft

Die Seilschaft

Titel: Die Seilschaft
Autoren: Roman Rausch
Vom Netzwerk:
dem Tempel seines Vaters vertrieben und sich gegen die verlogenen Pharisäer gestellt hat.»
    «Aber das war Christus. Wie kann ich mich mit ihm vergleichen?»
    «Er ist unser aller Vorbild. Wahres Christsein bedeutetnicht Schwäche oder Tatenlosigkeit, sondern Kraft, sich gegen das Böse und die Sündiger zur Wehr zu setzen.»
    Ein zufriedenes Seufzen, Zeichen ihrer Erleichterung.
    «Ich danke Euch. Ihr habt eine große Last von mir genommen.»
    Er nickte. «Hast du noch etwas zu beichten?»
    «Nein, Vater. Das war alles.»
    «Willst du nun bereuen?»
    «Ja, Vater. Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, o Herr.»
    Der Priester nahm ihre Bitte als Zeichen der Reue entgegen und sprach sie von allen begangenen Sünden los.
    «Nun geh hin in Frieden und sei ein starker Christenmensch. Bete zehn
Gegrüßest seist du, Maria
zu unserer heiligen Mutter Maria als Buße für deine Sünden.»
    Er schlug das Kreuzzeichen.
    Sie erwiderte es, blieb aber auf dem harten Betschemel knien.
    «Ist noch etwas?», fragte er.
    Sie blickte auf. «Ja, Bruder Vinzenz. Was gibt es Neues?»

2
    «Herrschaftszeiten!»
    Werner Schwerdt beugte sich über die Zeitung. Die Rede des Kreisvorsitzenden interessierte ihn in diesem Moment keinen Deut mehr.
    Es war nicht zu fassen: Woher hatte dieser Schmierfink nur das Foto? Es zeigte ihn mit zerzaustem Haar, übernächtigt und verkatert beim Verlassen der Wohnung, von der eigentlich niemand wissen durfte. Sein Büroleiter hatte sie auf den Namen einer entfernten Cousine gemietet – einer unwiderstehlich süßen Studentin der Kunstgeschichte. Somit konnte niemand eine Verbindung zu ihm herstellen.
    Schon bei der Schlüsselübergabe hatte es ihn in den Fingern gejuckt. Der Körper dieses jungen Dings machte jeden noch so guten Vorsatz zunichte. Aber nein, hatte er sich gesagt, die Verwandtschaft von Mitarbeitern bleibt tabu. Daran gab es nichts zu deuteln.
    Nach einer Weile fragte er sich dann doch: Zu welchem Zweck sollte der Herr so wunderbare Früchte erschaffen, als dass man sie nicht pflücken dürfte? Reinste Verschwendung.
    Eine reife Pflaume wollte vom Ast genommen werden. Das war schließlich ein Naturgesetz, von Gott gegeben.
    Und bei allen guten Geistern, die Kleine war reif.
    Anfänglich etwas spröde – das musste in der Familie liegen   –, aber bei der Aussicht, was er noch für sie tun könnte und welche Möglichkeiten er ihr eröffnen würde, ließ sie alle Bedenken fahren und gab sich ihm hin.
    Genau so liebte er sie. Weigerung und Hingabe. Er kannte die Menschen, und vor allem die Frauen, gut. Sie waren zu allem bereit, wenn die Belohnung stimmte. Ein weiteres Naturgesetz, das mit Eva, der Schlange und dem Apfel Eingang in die menschliche Existenz gefunden hatte.
    Nicht umsonst war er zum Generalsekretär der Partei ernannt worden. Er wusste, wie die Dinge funktionierten.
Gibst du mir, gebe ich dir.
Das war das schlichte Geheimnis von dreißigtausend Jahren Menschheitsgeschichte. Mit ihm wurden Königreiche erschaffen und wieder niedergerissen. Es gab keinen Grund, etwas daran zu ändern. Der Handel lag den Menschen im Blut, er machte sie zu dem, was sie in seinen Augen eigentlich waren: rückgratlose Opportunisten, die für den eigenen Vorteil ihre Mutter verkauften, sofern – und das war das Entscheidende – der Preis stimmte. Die Kunst dabei war, den Preis so gering wie möglich zu halten und den Partner an sich zu binden. In dieser Disziplin war er Meister geworden. Vorschriften und Regeln interessierten ihn nicht. Das war etwas für Erbsenzähler und Idealisten.
    Er hingegen stand darüber, er machte die Gesetze.
    Doch dieses Foto hier war eindeutig zu viel. Es verstieß auf beleidigende Art und Weise gegen den Ehrenkodex, den er und seine Parteifreunde mit der Presse geschlossen hatten.
    Keine kompromittierenden Fotos im Wahlkampf.
    Sein Blick schweifte zur Bildunterzeile. Der Fotograf war nicht namentlich genannt. Offenbar wieder einer dieser schmierigen Paparazzi, die nichts anderes zu tun hatten, als ehrbaren Bürgern nachzustellen. Wenn er nur einen dieser Halunken zu fassen bekäme, am besten nachts auf einer Brücke oder in einer dunklen Seitengasse. Er würde keinen Augenblick zögern.
    Der Autor des Artikels war eine Frau. Sonja Lindström. Er hatte noch nie von ihr gehört.
    «Kennst du die?», fragte er seinen Wahlkampfmanager, der neben ihm im großen Rund des Kaisersaals der Residenz zu Würzburg saß.
    Der verneinte.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher