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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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sich auf das Mädchen, das am anderen Ende des Tisches im Schatten saß.
    Die angespannten Züge der Gräfin Bahro glätteten sich, und auf ihren Lippen erschien ein versöhnliches Lächeln.
    «Gott sei gelobt, mein Kind, dass ich dich so wiederfinde, wie du dich zu entwickeln versprachst, als ich vor fünf Jahren dieses Haus verließ.»
    Die Angesprochene, ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, sah die Gräfin mit klarem Blick an. «Ich bin froh, liebe Großtante, dass wenigstens ich Gnade vor Ihren Augen finde.»
    Das Lächeln der Gräfin erstarb. «Herr im Himmel! Man kann nur hoffen, mein Fräulein, dass du dir nicht schon den Zynismus angeeignet hast, der in diesem Hause leider üblich ist. Das stünde dir schlecht zu Gesicht in deinen jungen Jahren.»
    «Unsere Paulina ist ein reizendes Ding geworden, nicht wahr?», plapperte der Baron dazwischen.
    «Besonders reizend ist ihr lockeres Mundwerk», fügte Alexander hinzu.
    «Komm doch bitte einmal zu mir, Paulina», bat die Gräfin Bahro.
    Paulina trat ohne Scheu vor die gestrenge Großtante.
    Frau von Bahro betrachtete das Mädchen mit prüfendem Blick. «Ich muss sagen, du hast dich zu einer ansehnlichen jungen Frau entwickelt. In deinen Adern muss ein wenig vom Blut der toskanischen Vorfahren deines Vaters fließen.»
    «Damit kann man vielleicht auch Paulinas vorlautes Wesen erklären», mischte sich Frau von Herben ein. «Lassen Sie sich nicht von ihrer scheinheiligen Art täuschen, Frau Gräfin. Die junge Dame ist störrisch und ungehorsam. Wir haben unsere liebe Mühe mit ihr.»
    «Sie sind eine Intrigantin, meine Liebe!», wies die Gräfin sie zurecht. «Vergessen Sie nicht, dass Sie hier das Amt einer Hausdame innehaben, wohingegen die Erziehung des Mädchens in der Hand von Frau von Engelen liegt. Ich würde mir außerdem gern selbst ein Urteil über Paulina bilden, denn ihretwegen bin ich hier.»
    Das junge Mädchen hielt dem inquisitorischen Blick der Gräfin unbeirrt stand. «Darf ich fragen, was ich mir darunter vorzustellen habe?»
    Die Gräfin Bahro zog die Augenbrauen hoch. «Ich stelle fest, mein Fräulein, dass es dir nicht an Schlagfertigkeit mangelt. Deiner Mutter bist du jedenfalls nicht sehr ähnlich. Aber um ehrlich zu sein, ist das nicht unbedingt ein Nachteil. Es besteht Anlass zu der Hoffnung, dass du besser mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen weißt.»
    «Das habe ich durchaus vor, Großtante», antwortete das junge Mädchen.
    «Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, Gräfin», meinte Frau von Engelen, «es gehört zu meinen wichtigsten Erziehungsgrundsätzen, die besonderen Eigenarten einer Persönlichkeit nicht zu unterdrücken, sondern sie im Gegenteil zu fördern. Ich bin überzeugt davon, dass ein offener, starker Charakter besser auf die Wechselfälle des Lebens vorbereitet ist als ein linkisches, kriecherisches Wesen.»
    «Reden Sie keinen Unsinn, Frau von Engelen! Was hat ein vorlautes Wesen mit Erziehung zu tun? Allerdings überraschen mich Ihre Ansichten nicht allzu sehr. Immerhin sind Sie mir seinerzeit von Prinzessin Marie empfohlen worden. Ich kann mich erinnern, dass Ihre Hoheit bisweilen ähnliche Gedanken äußerte. Gleichwohl stehe ich auf dem Standpunkt, dass für ein adeliges Fräulein gute Manieren und standesgemäßes Benehmen von äußerster Wichtigkeit sind. Ich hoffe für Sie, Frau von Engelen, dass Sie diesem nicht ganz unerheblichen Teil der Erziehung genügend Beachtung geschenkt haben.»
    «Das habe ich, dessen können Sie versichert sein.»
    «Ist Paulina der französischen Sprache mächtig?»
    «Selbstverständlich.»
    «Nun gut. Es ist nicht so, dass mir Paulinas Art missfällt … Aber kommen wir zur Sache! Da die Mutter des Kindes nicht befragt werden kann, muss ich die Angelegenheit gleich hier zur Sprache bringen. Ich bin morgen bei Ihrer Hoheit Prinzessin Marie zu einem kleinen Empfang geladen. Meine gute Frau von Rilken ist plötzlich unpässlich, und ich brauche dringend eine Ehrendame, die sie ersetzt. Kurz: Ich habe an Paulina gedacht.»
    Diese Ankündigung rief allgemeines Erstaunen hervor.
    «Was für eine wunderbare Gelegenheit für Paulina!», rief Frau von Engelen aus.
    «Überlegen Sie gut, was Sie tun!», warnte Frau von Herben. «Dieses ungezogene Mädchen wird Sie unsäglich blamieren.»
    Alexander von Dornfeld lachte amüsiert auf. «Da muss ich unserer guten Frau von Herben ausnahmsweise einmal recht geben. Zur demütigen Hofdame ist Paulina nicht gerade geboren.»
    Paulina hörte
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