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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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erleichtert auf.
    «Mit diesem Gauner würden selbst wir fertig werden», raunte sie Rosa zu. «Es ist das Mädchen. Offenbar hat es auf uns gewartet.»
    Die Person zitterte am ganzen Körper. Ihr verschrecktes Gesicht versank fast in der riesigen Kapuze eines Umhangs, und ihre bangen Augen waren auf die beiden Frauen gerichtet. Als das Mädchen Paulina erkannte, entspannten sich seine Züge.
    «Gott sei gelobt – Sie sind es! Ich hatte Sorge, Sie könnten in diesem Nebel das Haus nicht finden, und deshalb bin ich vor die Tür gegangen, um auf Sie zu warten.»
    «Hast du inzwischen einen Arzt geholt?», fragte Paulina.
    «Meine Mutter hat die Hebamme rufen lassen, das erschien ihr in diesem Falle ratsamer.»
    «Die Hebamme? Was redest du da?»
    Das Mädchen blickte Paulina verständnislos an. «Kommen Sie! Mir scheint, Sie wissen überhaupt nicht, was geschehen ist.»
    Paulina und Rosa folgten dem Mädchen ins Innere des Hauses. Sie durchquerten einen dunklen Vorraum und kamen in eine saubere, aufgeräumte Küche. Der Geruch von Kohlsuppe schlug ihnen entgegen. Im Herd prasselte ein Feuer, über dem ein dampfender Topf hing. In der Mitte des Raumes stand ein klobiger Holztisch, um den sich auf zwei Bänken eine Schar Kinder verteilte. Auf einem Schemel vor dem Feuer saß eine dicke Frau mit einer Schüssel auf den Knien und knetete Teig. Sie sah den Besucherinnen aus müden Augen entgegen.
    «Mutter», sagte das Mädchen, «hier sind die zwei Frauen, die zur Anna gehören.»
    «Na endlich!», antwortete die Angesprochene mürrisch. «Viel scheint euch an eurer Verwandten ja nicht zu liegen, wenn ihr jetzt erst kommt. Und wenn sie heute Nacht gestorben wäre?»
    Paulina sah die Frau eindringlich an. «Stimmt es, dass Anna von Dornfeld bei Ihnen ist?»
    Rosa stieß einen unterdrückten Schrei aus.
    Die dicke Frau lachte höhnisch auf. «Anna von Dornfeld? Wer soll das denn sein? Bei uns gibt es keine von Dornfelds. Sieht es hier so aus, als würde ich Adelige beherbergen? Falls du von unserer Anna sprichst – die ist weiß Gott weit entfernt davon! Sie ist eine kleine Herumtreiberin, die ich nur meinem Bruder zuliebe aufgenommen habe. Leider hatte der Dummkopf mir nicht gesagt, dass sie in anderen Umständen war. Aber eines sage ich euch: Das Balg kann hier nicht bleiben, das müsst ihr schon mitnehmen!»
    Während die Frau sprach, musterte sie Paulina von oben bis unten. «So wie du gekleidet bist, kommst du auch nicht gerade aus einem vornehmen Haus. Was redest du also von Adel?»
    «Ich möchte Anna sofort sehen!», verlangte Paulina. «Wo ist sie?»
    Die Frau stellte die Schüssel auf den Boden und stand auf. «Mach dir keine großen Hoffnungen!», sagte sie ohne eine Spur von Mitgefühl. «Sie liegt im Sterben.» Träge schlurfte sie zu einer Tür im hinteren Teil der Küche und öffnete sie. Dahinter lag ein fensterloser Verschlag, in dem sich allerlei Gerümpel bis zur Decke türmte. Dazwischen befand sich eine niedrige Bettstatt aus Leinensäcken. Unter groben Decken vergraben lag eine Frau mit totenbleichem Gesicht. Feuchte Haarsträhnen klebten auf ihrer Stirn, die Augen waren geschlossen.
    Neben dem Lager hockte eine ältere Frau, die dabei war, einen Sud anzurühren, aus dem die Dämpfe von Kräutern emporstiegen. Hinter ihr stand ein Weidenkorb, in dem das Köpfchen eines friedlich schlafenden Neugeborenen zu erkennen war.
    «Lebt sie noch?», fragte die dicke Frau.
    Die Alte in der Kammer hob verärgert den Kopf. «Wo denkst du hin, Mutter Rosiger? Von Sterben kann keine Rede sein. Wer bei mir niederkommt, stirbt nicht im Kindbett, das müsstest du doch wissen!»
    «Lass es gut sein, Traude», sagte die Rosiger. «Ich weiß, dass du dein Handwerk verstehst. Doch als die Anna gestern anfing zu glühen wie ein Feuerstein und dann nur noch wirres Zeug geredet hat, da dachte ich, jetzt geht es zu Ende mit ihr.»
    Paulina drückte die Rosiger unsanft zur Seite und hockte sich neben die Hebamme auf den Boden. Es war einige Zeit her, dass sie Anna zum letzten Mal gesehen hatte, und dadurch fiel es ihr schwer, in diesem kläglichen Geschöpf ihre strahlend schöne Tante wiederzuerkennen. Doch in diesem Moment öffnete die Kranke die Augen, ließ ihren flackernden Blick durch den Raum schweifen und sagte kaum hörbar: «Sophie? Bist du endlich da?»
    Paulina nahm die schmale Hand, die auf der Decke ruhte. «Ich bin es – Paulina. Mutter konnte nicht kommen, aber sie hat mich statt ihrer
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