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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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von Bahro musterte das junge Mädchen erneut von oben bis unten. «Ist dir bewusst, dass du dich damit über den Willen deines Großvaters hinwegsetzt?», fragte sie schließlich streng.
    Paulina reckte trotzig das Kinn vor. «Da es um mich geht und meine Mutter nicht für mich sprechen kann, ist allein meine Zustimmung wichtig. Und ich habe mich in diesem Moment entschieden.»
    Die Gräfin Bahro lauschte mit Erstaunen dem Einwand des jungen Mädchens. Dann breitete sich ein triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. «Du gefällst mir, mein Kind. Du gefällst mir wirklich. Endlich jemand in dieser Familie, der seiner ritterlichen Ahnen würdig ist. Ich werde dich morgen abholen lassen. Wie du es anstellst, dass du mich begleiten kannst, ist deine Sache. Ich bin jedenfalls einverstanden. Du wirst meine Ehrendame sein.»

Kapitel 2
    Die Nacht war frostig gewesen, und feuchter Nebel hing zwischen den Häusern. Es hatte noch nicht zu tagen begonnen, als Paulina und die alte Magd Rosa durch die Straßen Darmstadts hasteten. Trotz der Kälte war der Boden matschig, und die beiden Frauen mussten sich immer wieder aneinander festhalten, um nicht auszurutschen.
    «Wenn Ihr Großvater nur nichts von unserem Ausflug erfährt!», jammerte Rosa zum wiederholten Male. «Ich hätte mich niemals auf dieses Unterfangen einlassen dürfen!»
    «Sei still!», herrschte Paulina sie mit gedämpfter Stimme an. «Seit wir das Haus verlassen haben, muss ich mir dein Gezeter anhören. Denk an unsere Abmachung: Du begleitest mich, und ich vergesse dafür, was ich gesehen habe. Oder willst du, dass ich Frau von Herben oder gar meinem Großvater erzähle, was hinter ihrem Rücken im Haus passiert? Sie wären sicher nicht erfreut, wenn sie erführen, dass du die Kinder deiner Tochter heimlich zum Essen in unsere Küche führst. Und das, wo wir selbst kaum genug haben. Was meinst du – würden sie dich sofort auf die Straße setzen oder nicht?»
    Die Alte brummte etwas Unverständliches und ging mit mürrischer Miene weiter.
    «Es ist ja nicht so, dass die Kleinen mir nicht leidtun», fuhr Paulina etwas versöhnlicher fort. «Ich weiß, dass deine Tochter in großer Armut lebt. Von mir aus können die Kinder weiter zu uns kommen. Aber ich wünsche, dass du mir dafür eine kleine Gefälligkeit erweist. Alleine hätte ich nicht gehen können.»
    «Wohin wollen wir überhaupt?», fragte Rosa. «Wenigstens das hätten Sie mir verraten können. Sind Sie sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?»
    Paulina war alles andere als sicher. Ihre Spaziergänge mit Frau von Engelen hatten sie nie in diese Gegend von Darmstadt geführt. Gegen die armseligen Häuser hier war das verfallene Palais der Dornfelds ein geradezu fürstliches Domizil.
    Am Abend zuvor, kurz nachdem die Gräfin Bahro gegangen war, hatte Robert ein völlig verängstigtes Mädchen zu Paulina geführt, das Frau Sophie zu sprechen wünschte. Die junge Baroness glaubte zunächst, man erlaube sich einen üblen Scherz mit ihr. Als Paulina dann die erschütternde Nachricht der Kleinen hörte, sagte sie ihr zu, am nächsten Morgen vor Tagesanbruch zu dem von ihr beschriebenen Ort zu kommen.
    «Natürlich sind wir auf dem richtigen Weg», antwortete Paulina bestimmt und fasste ihren Korb fester, denn er begann ihr langsam schwer zu werden. «Wenn wir uns beeilen, sind wir bis zum Morgengrauen zurück. Niemand wird unsere Abwesenheit bemerken.»
    «Ich hoffe, dass Sie recht behalten, gnädiges Fräulein. Diese Sache ist mir nicht geheuer. Es gehört sich nicht, dass eine junge Dame frühmorgens alleine durch die Straßen zieht.»
    «Pah!», stieß Paulina aus. «Manchmal muss man eben vergessen, dass man eine junge Dame ist.» Fieberhaft versuchte sie, sich an die Worte des Mädchens zu erinnern. Am Stadttor vorbei, die dritte Gasse rechts, dann links und noch einmal rechts – die engen, dunklen Straßen sahen fast alle gleich aus. Zudem konnte man in dem milchigen Dunst kaum die Hand vor Augen erkennen.
    «Da vorne ist jemand!», flüsterte die alte Rosa aufgeregt und deutete auf ein schwaches Licht in den trüben Schwaden. «Was machen wir, wenn es ein Gauner ist?»
    Paulina versuchte, ihre aufkeimende Angst zu unterdrücken. «Wo soll der denn herkommen? Die Stadttore sind noch zu, und niemand hält sich bei der Kälte freiwillig im Freien auf.» Beherzt ging sie weiter auf das Licht zu, und im Nebel zeichneten sich die Umrisse einer kleinen, schmalen Gestalt ab. Paulina atmete
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