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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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Gouverneur machte dem Burschen ein Zeichen.
    Der Junge hob seine Stöcke und ließ sie auf das Schlagfell niedersausen. Ein Trommelwirbel durchbrach den Morgen.
    Mit einem klackenden Geräusch entsicherten die Soldaten ihre Gewehre und legten an. Der Verwalter von Blommersforst begann, wie ein Hund zu heulen. Paulina sah, dass seine Hose sich im Schritt dunkel verfärbte. Er ließ sich auf die Knie fallen und stieß einen unmenschlichen Schrei aus.
    Der nächste Trommelwirbel folgte.
    Dann zerriss eine Salve von Gewehrschüssen die Luft. Fast augenblicklich brachen die Gefangenen zusammen.
    «Es lebe der Kurfürst von Hannover und König von England!», rief der Graf Bahro, bevor er zu Boden ging.
    General Rohan presste verärgert die Lippen zusammen. Die Soldaten beantworteten den Ausruf des Delinquenten mit einer weiteren Salve. Rauch vernebelte die Luft in dem engen Hof. Es roch nach Pulver, Blut und Tod.
    Paulina hatte der Erschießung wie paralysiert zugesehen.
    Als zwischen grauen Rauchschwaden die blutüberströmten Leichname der fünf Aufständischen auftauchten, wandte sie sich entsetzt ab und rannte durch die Gänge des Gebäudes, bis sie endlich den Ausgang fand. Wie betrunken taumelte sie durch die Straßen von Cassel zum Gasthaus. Erst als sie in die Wirtsstube trat, konnte sie wieder einen klaren Gedanken fassen.
    Noch in derselben Stunde verließ sie die Stadt und fuhr zurück nach Blommersforst. Nachdem sie die hysterische Witwe beruhigt und der armen Frau versichert hatte, dass sie in ihren Diensten verbleiben konnte, schloss sie sich in ihrem Zimmer ein. Sie setzte sich nieder und schrieb den schwersten Brief ihres Lebens.
    Am nächsten Morgen ließ sie ihren Kutscher Franz kommen.
    «Ich mag Ihnen manchmal den letzten Nerv geraubt haben», sagte sie zu ihm, «aber Sie sind einer der wenigen Menschen, denen ich noch vertraue. Ich bitte Sie hiermit, nach Berlin zu reisen und diese Schreiben Herrn von Bahro auszuhändigen – und nur ihm. Falls er noch nicht aus Italien zurückgekehrt ist, warten Sie auf ihn! Es ist sehr, sehr wichtig, dass er die Nachrichten aus Ihren Händen erhält.» Sie sah ihn beschwörend an. «Da uns drei einige gemeinsame Erinnerungen verbinden, wird er bei Ihrem Anblick wissen, dass mein Brief an ihn keine Täuschung ist.»
    Franz war sichtlich bewegt. «Und Sie, Frau Gräfin?», fragte er. «Was wird aus Ihnen?»
    «Ich fahre nach Paris zurück», antwortete Paulina. «Es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn nicht alles noch viel schlimmer kommen soll.» Sie lächelte traurig. «Ich habe vor, in die Fußstapfen meiner Tante zu treten und mich als Schauspielerin zu versuchen. Ich werde bei einem genialen Theaterdirektor vorsprechen, dessen Bühne sich getrost die größte in ganz Europa nennen darf. Leider werden dort meist Tragödien gespielt.» Und mit Bitterkeit in der Stimme fügte sie hinzu: «Ich hoffe, dass die Spielzeit nicht zu lange dauern wird.»
    Paulina konnte nicht ahnen, dass bis zum Ende der Herrschaft Napoleons noch vier Jahre vergehen sollten.

Kapitel 55
    Boltenhusen, November 1814
    Gerade begann es dunkel zu werden, als an einem trüben Herbstabend eine Kutsche im Schlosshof von Boltenhusen in Mecklenburg hielt. Der Kutscher kletterte vom Bock, um dienstfertig den Verschlag zu öffnen, und aus dem Innern des Gefährts sprangen ein etwa neunzehnjähriger, hoch aufgeschossener Jüngling mit einer üppigen, schwarzen Lockenpracht und eine gleichaltrige junge Dame mit einem stolzen Zug um den Mund.
    Der Jüngling betätigte den Türklopfer an der Eingangspforte des Schlosses, während er seinen bewundernden Blick über die schön gestaltete Fassade schweifen ließ.
    Es dauerte nicht lange, bis die Tür geöffnet wurde. Auf der Schwelle der hell erleuchteten Eingangshalle stand ein livrierter Lakai, der sich tief verbeugte.
    «Guten Abend», sagte der Jüngling. «Frédéric von Ostry und seine Schwester wünschen, vom Grafen Bahro empfangen zu werden.»
    «Treten Sie ein», antwortete der Lakai. «Ich werde Sie sofort melden. Der Herr Graf ist noch im Kaminzimmer, wird aber gleich zu Tisch gehen.»
    Frédéric klopfte dem Lakaien kameradschaftlich auf die Schulter und schob sich an ihm vorbei ins Haus. «Lass den Schnickschnack, Bursche, wir finden den Weg alleine.»
    «Warten Sie!», rief der Lakai. «Ich muss erst nachfragen, ob der Herr Graf vor dem Essen noch Besuch wünscht!»
    «Keine Sorge! Ich kann dir versichern, dass ihm nicht der Appetit
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