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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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Morgengrauen zwei Offiziere in Paulinas Gasthaus erschienen waren und sie aufgefordert hatten, augenblicklich mitzukommen, hatte sie zunächst befürchtet, nun selbst verhaftet zu werden. Man hatte sie in ein mächtiges Gebäude gebracht, in dem sie von einem Pastor erwartet worden war. Der Geistliche hatte ihr mitgeteilt, dass der Gouverneur auf seine Bitte hin dem Grafen Bahro gestattet habe, sie zu sprechen. Gleichgültig, welchen Groll sie gegen den Grafen hege, solle sie ihrem Herzen einen Stoß geben und ihm diesen Wunsch erfüllen.
    Was konnte der Graf ihr zu sagen haben? Warum verlangte er danach, ausgerechnet mit ihr zu sprechen?
    Paulina war kurz davor gewesen abzulehnen, doch dann hatte sie an Christian gedacht und dem Gespräch zögerlich zugestimmt.
    Der Offizier hielt vor einer schweren Holztür mit vergitterter Schießscharte. Schlüsselgerassel war zu hören. Die Tür ging quietschend auf, und der Mann trat wortlos zur Seite, um Paulina eintreten zu lassen.
    Sie kam in eine kleine, schmale Zelle, die lediglich ein winziges, vergittertes Fenster unterhalb der Decke hatte. Die Morgendämmerung erhellte den Raum nur schwach und tauchte ihn in ein diffuses Licht, in dem alles nur schemenhaft zu erkennen war. An der einen Wand befand sich ein Lager mit grober Leinendecke, an der anderen standen ein klappriger Holztisch und ein dreibeiniger Hocker.
    Graf Bahro saß mit dem Rücken an die Mauer gelehnt auf dem Schemel. Er trug noch den eleganten Rock, in dem man ihn wohl verhaftet hatte. Sein Gesicht war unrasiert, das Haar ordentlich nach hinten gestrichen. Er war bleich und übernächtigt, wirkte aber seltsam gefasst.
    Die Tür fiel krachend ins Schloss. Man hörte die Schritte des sich entfernenden Offiziers. Langsam stand der Graf auf.
    Paulina sah auf dem Tisch einen Federkiel und einen Bogen Papier liegen, der mit Schriftzügen bedeckt war.
    «Wenigstens das haben sie mir gestattet», sagte Graf Bahro, der ihrem Blick gefolgt war. «Es erleichtert mich, dass ich meine Gedanken in Worte fassen kann. Leider kann ich Ihnen außer diesem unbequemen Hocker keinen Platz anbieten, Madame.»
    «Es macht mir nichts aus zu stehen.»
    «Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind», begann der Graf. «Abgesehen davon, dass ich nicht wusste, ob Sie meiner Bitte folgen würden, fürchtete ich außerdem, Sie könnten bereits abgereist sein.»
    «Ich war mehrmals kurz davor», gestand Paulina. «Dass ich noch in Cassel bin, ist nur der Tatsache zuzuschreiben, dass ich unschlüssig war, in welche Richtung ich fahren sollte.»
    «Nun, ich kann in gewisser Weise nachvollziehen, dass Sie nicht meinetwegen geblieben sind. Sie wissen, dass gestern die Verhandlung vor dem Kriegsgericht stattfand?»
    «Nein. Man erfährt so gut wie nichts über den Fall. Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Monsieur? Warum haben Sie etwas so Irrsinniges getan?»
    «Für mich war es nicht aussichtslos, Madame! Wir waren überzeugt davon, dass wir das westfälische Volk mobilisieren könnten, sich gegen das infame Franzosenregime aufzulehnen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung schien uns sicher.»
    Graf Ostry starrte in den leeren Raum. «Ich habe mein Leben dem Staatsdienst gewidmet, genauso wie vor mir mein Vater. Seit nunmehr zehn Jahren ist Hannover fast pausenlos von den Franzosen besetzt. Ich habe mich damit getröstet, dass der Erfolg dieses despotischen Korsen nicht ewig währen würde. Aber dann wurde Hannover auch noch dem Königreich Westfalen und damit dem Bruder dieses Ungeheuers unterstellt.» In seinen Augen begann es zornig zu funkeln. «Können Sie sich vorstellen, was es für mich bedeutete, unter diesem Bonvivant Jérôme zu leben, der sich bis heute geweigert hat, Deutsch zu lernen, der in Rotwein zu baden pflegt und sich Konkubinen hält wie ein arabischer Scheich? ‹König Lustig› nennt man ihn, dass ich nicht lache! … Wie kann es sein, dass Napoleon sich halb Europa einverleibt und überall seine unfähigen Verwandten auf die Königs- und Fürstenthrone setzt!»
    Er schwieg ein paar Sekunden und fuhr dann fort: «Wir haben endlose Debatten darüber geführt, Christian und ich. Gestritten haben wir uns bis aufs Blut. Er redete von Reformen, von einem Neuaufbau, der ganz unten beginnen müsse und viele Jahre benötigen würde. Einen Zauderer habe ich meinen Sohn genannt, weil ich meinte, dass er nur nicht genügend Schneid besäße, um jetzt zu handeln und sich gegen diese Übermacht zur Wehr zu setzen.»
    «Sie
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