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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition)
Autoren: Martina Rauen
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vergehen wird, wenn er uns sieht.»
    Dicht gefolgt von dem Lakaien gingen die beiden jungen Leute leichten Schrittes durch die Eingangshalle und stiegen eine breite, geschwungene Treppe hinauf. Auf der obersten Stufe drehte Frédéric sich zu seiner Schwester um und deutete auf ein Gemälde, das dort an der Wand hing.
    «Was sage ich, Camille? Man könnte meinen, es sei Maman in jungen Jahren, nicht wahr? Dabei handelt es sich bei dieser rebellisch dreinblickenden Dame um unsere Ururgroßmutter aus der Toskana.»
    Die junge Frau betrachtete das Bild interessiert. «Nun, da weißt du wenigstens, von wem Maman ihr Selbstbewusstsein und ihren Kampfgeist hat», sagte sie lächelnd. «Diese Dame sieht aus, als sei sie kurz davor, eine Revolte anzuzetteln oder in den Krieg zu ziehen.»
    Der Lakai hatte die Gelegenheit genutzt und war an den Geschwistern vorbeigeschlüpft, sodass er nun doch dazu kam, an eine Tür im oberen Stockwerk zu klopfen. Frédéric von Ostry stürmte jedoch hinterher und schob die Hand des Lakaien von der Klinke.
    «Dein Eifer ehrt dich, Bursche», sagte er, «aber meine Schwester und ich würden den Grafen gerne überraschen.»
    Er öffnete die Tür und betrat an der Seite von Camille einen behaglichen Raum, in dem zwei kristallene Deckenleuchter ein angenehmes Licht verbreiteten. An den Wänden hingen große Ölgemälde, die verschiedene mecklenburgische Landschaften zeigten. Vor dem brennenden Kamin stand eine hübsche Rokoko-Sitzgruppe, deren altmodischer Stil daran erinnerte, dass die letzten dauerhaften Bewohner des Schlosses schon lange verstorben waren.
    Die beiden dort sitzenden Personen sprangen beim Eintreten der jungen Leute von ihren Stühlen auf.
    «Frédéric! Camille!», rief erfreut ein elegant gekleideter Herr, in dessen seidig glänzendes Haar sich die ersten grauen Strähnen mischten. «Warum habt ihr euer vorzeitiges Kommen nicht angekündigt?»
    «Wir wollten uns Ihre verdutzten Gesichter nicht entgehen lassen!», antwortete Frédéric verschmitzt, ging auf den Herrn zu und umarmte ihn herzlich. «Na, Vater, ist uns die Überraschung gelungen?»
    «Allerdings», bestätigte die danebenstehende Dame, die große Ähnlichkeit mit dem Grafen Bahro hatte. «Hans, sag in der Küche Bescheid, dass wir noch zwei zusätzliche Gäste zum Essen haben!», rief sie dem Lakaien zu.
    «Das trifft sich gut, ich habe einen Bärenhunger!», rief Frédéric begeistert aus.
    Christian von Bahro hielt den jungen Mann mit gestreckten Armen von sich und betrachtete ihn zufrieden.
    «Wenn du dir diese Haarbüschel ein wenig stutzen würdest, die deinen Kopf schmücken, wärst du ein recht ansehnlicher Bursche», stellte er fest. «Die Jahre in Italien sind dir gut bekommen. Ich fürchte, dass du so manches Mecklenburger Mädchenherz brechen wirst.»
    «Bloß nicht!», warf Camille ein. «Es reicht schon, dass die Hälfte der weiblichen Bevölkerung der Toskana in Tränen zerfließt, weil er dem Land den Rücken gekehrt hat!»
    Frédéric drehte sich zu seiner Schwester um. «Es soll auch Menschen geben», sagte er mit liebevollem Spott, «die andere nicht wegen ihrer intellektuellen Qualitäten, sondern beispielsweise wegen ihrer äußeren Erscheinung anziehend finden.»
    «Bei jungen Männern wie dir dürfte es eher in die zweite Richtung gehen», konterte seine Schwester schlagfertig.
    «Nicht jeder sucht sich seine Weggefährten in philosophischen Salons so wie du», gab er zurück.
    «Sollen wir nicht ins Esszimmer hinübergehen?», schlug die Dame vor, etwas irritiert über die Anspielungen im Wortwechsel der Geschwister. «Dann kann Camille uns ein wenig mehr über ihre Dichterfreunde erzählen.»
    «Eine gute Idee, liebe Karoline», stimmte Christian von Bahro zu und machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung Tür.
    «Ist es Zufall, dass Sie in Boltenhusen sind, Tante?», fragte Frédéric an die Dame gewandt, während sie hinausgingen.
    «Nach dem Tod meines Gatten wird mir manchmal ein wenig schwer ums Herz in Berlin», antwortete Karoline mit betrübter Miene. «Alles in unserem Haus dort erinnert mich an ihn. Als ich erfuhr, dass euer Vater in Boltenhusen ist, bin ich sofort hergekommen.»
    «Es ist eine Schande, wie viele Menschen in diesen schrecklichen Kriegen ihr Leben lassen mussten», sagte Camille leidenschaftlich. «Hätte man diesem größenwahnsinnigen Napoleon nicht eher Einhalt gebieten können?»
    «Diejenigen, die es zu früh versuchten, mussten es bitter bezahlen»,
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