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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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nennen? „Ich möchte, dass du weißt, wie stolz ich auf dich bin.“
    „Wirklich?“
    „Ja.“ Loretta sah ihre Tochter an und wünschte den Mut zu haben, ihr die geöffneten Arme entgegenzustrecken. „Ich wünschte nur, du würdest glücklicher aussehen.“
    „Ich bin durchaus glücklich.“
    „Wenn du es nicht wärst, würdest du es mir dann sagen?“
    „Ich weiß es nicht. Eigentlich kennen wir uns gar nicht mehr.“
    Das war zumindest aufrichtig. Es tat weh, aber es war aufrichtig. „Ich hoffe, du bleibst lange genug, damit wir uns wieder kennenlernen.“
    „Ich bin hier, weil ich Antworten brauche. Aber noch bin ich nicht so weit, Fragen zu stellen.“
    „Lass dir Zeit, Vanessa, und glaube mir, wenn ich sage, dass ich immer nur das Beste für dich gewollt habe.“
    „Mein Vater hat stets das Gleiche gesagt“, gab Vanessa leise zurück. „Ist es nicht komisch, dass ich jetzt als Erwachsene keine Ahnung habe, was das bedeutet?“
    Sie ging hinüber ins Musikzimmer. Sie spürte einen bohrenden Schmerz direkt unter dem Brustbein. Rein gewohnheitsmäßig nahm sie eine Pille aus dem Döschen in ihrer Rocktasche, bevor sie sich ans Klavier setzte.
    Vanessa begann mit Beethovens Mondscheinsonate. Sie spielte ohne Noten, und die Musik kam tief aus ihrem Herzen und besänftigte sie. Sie erinnerte sich, dass sie dieses Stück wie so viele andere hier in diesem Zimmer gespielt hatte, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Weil es ihr Freude machte, ja, aber sehr oft auch, weil man es von ihr erwartete, sogar verlangte.
    Ihre Gefühle gegenüber der Musik waren immer ein wenig gespalten gewesen. Sie liebte sie leidenschaftlich. Es drängte sie, das ihr gegebene Talent optimal zu nutzen, aber gleichzeitig war sie immer von dem brennenden Wunsch beseelt gewesen, ihrem Vater zu gefallen und seinen hohen Ansprüchen zu genügen.
    Er hatte nie verstanden, dass die Musik für sie Liebe war und nicht Berufung. Sie war Trost für sie gewesen, ein Mittel, sich auszudrücken, aber niemals ein Ziel ihres Ehrgeizes. Als sie gelegentlich versucht hatte, es ihm zu erklären, war er so zornig und ungeduldig geworden, dass sie es aufgegeben hatte. Sie, die für ihr leidenschaftliches Temperament bekannt war, war in Gegenwart ihres Vaters ein gehemmtes Kind gewesen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie es nie geschafft, sich ihm zu widersetzen.
    Vanessa wechselte zu Bach über, schloss die Augen und ließ sich treiben. Sie spielte über eine Stunde, verloren in der Schönheit, der Sanftheit und der Genialität dieser Musik. Das war es, was ihr Vater nie verstanden hatte, dass es ihr genügte, zu ihrem eigenen Vergnügen zu spielen. Und dass sie es hasste, ihr Leben lang gehasst hatte, auf der Bühne im Rampenlicht zu sitzen und für Tausende zu spielen.
    Als sie die aufsteigende Erregung spürte, begann sie ein schnelles, lebhaftes Stück von Mozart, in das sie all ihre Gefühle legen konnte. Als der letzte Akkord verklang, empfand sie eine tiefe Befriedigung.
    Der gedämpfte Applaus hinter ihr ließ sie herumfahren. Obwohl die Sonne ihr in die Augen schien und es zwölf Jahre her war, erkannte sie ihn sofort.
    „Unglaublich.“ Brady Tucker stand auf und trat zu ihr. Seine hohe, drahtige Gestalt verdeckte die Sonne für einen Augenblick und umgab ihn gleichsam mit einer goldenen Gloriole. „Absolut unglaublich.“ Lächelnd streckte er ihr die Hand hin. „Willkommen daheim, Vanessa.“
    Sie stand auf. „Brady“, sagte sie und stieß ihm mit aller Kraft die Faust in den Magen.
    Er taumelte rückwärts auf einen Stuhl und stieß pfeifend die Luft aus. Das Geräusch war Musik in Vanessas Ohren. Anklagend sah er zu ihr auf. „Freut mich auch, dich wiederzusehen.“
    „Was, zum Teufel, willst du hier?“
    „Deine Mutter hat mich hereingelassen.“ Nachdem er ein paar Mal probeweise tief durchgeatmet hatte, stand er auf. Vanessa musste den Kopf zurücklegen, um ihn ansehen zu können. Er hatte noch immer diese unglaublich blauen Augen in einem Gesicht, dem die vergangenen Jahre in keiner Weise geschadet hatten. „Ich wollte dich nicht beim Spielen stören. Deshalb habe ich mich einfach hingesetzt. Ich konnte ja nicht wissen, dass du dermaßen über mich herfallen würdest.“
    „Damit hättest du rechnen müssen.“ Es freute sie, ihn überrumpelt und damit zumindest einen kleinen Teil des Schmerzes zurückgezahlt zu haben, den er ihr zugefügt hatte. Seine Stimme war noch immer die gleiche, tief und verführerisch. Allein dafür
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