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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos
Autoren: Suzanne Frank
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zusammenpressten, Feuer entfachten und auf jenem Teil der Erde, der später einmal als ägäische Mikroplatte bezeichnet werden sollte, eine Unzahl von vulkanischen Insel entstehen ließen.
    Unmerklich war das glühende Mark nach oben gestiegen. Was einst eine Tagesreise mit dem Schiff tief unter der Erdkruste gelegen hatte, war in vier Kanäle gedrückt worden, die sich wie Adern durch die wunderschönen Berge des Aztlantischen Imperiums zogen: die Gipfel des Apollo, des Krion, der Gaia und der Kalliope.
    Der schwächste Kanal befand sich auf Delos, einer Insel von Künstlern. Hoch über ihnen thronte der Berg der Kalliope, eine Inspiration für Gemälde, Gedichte, die Seele. Die Künstler spürten nichts von der zunehmenden Hitze unter ihren Sandalen. Noch waren keine Tiere den giftigen Gasen zum Opfer gefallen. Tausende lebten in Kalliopes Schatten, feierten ihre Feste in den schattigen Hainen, liebten sich in den Spalten des Berges, der dem Fremden stets Orientierung bot. Sie ahnten nicht, dass im Inneren des Berges der flüssige Tod lauerte. Heiß, mit grollendem, brodelndem Gestein, durch die schmalen Kanäle kriechend, die bis zur Kehle des Kraters reichten.
    Seit dem letzten Ausbruch waren Tausende von Jahren verstrichen. Seither ruhten große Teile der Insel auf dem Boden des Ozeans, ein Zeugnis des Zorns, der die Erde einst heimgesucht hatte. Damals hatte der Berg tagelang schiffsgroße Felsen ausgespien und glühende Asche auf die runde Insel regnen lassen. Das Feuer hatte den Himmel entzündet, und die Erzählungen von jenen Zerstörungen waren zu Mythen und Legenden geworden.
    Dann war der Berg wieder eingeschlafen. Unendlich langsam war der Krater aus den Tiefen des Meeres aufgestiegen. Grünes Gras hatte ihn überzogen, Vögel hatten darauf genistet, und mit jedem Jahr war er größer und höher, der Boden fruchtbarer geworden. Ein Menschenstamm hatte sich darauf angesiedelt, der blaue Trauben anbaute, kräftige Kräuter und Feigenbäume, der Getreide erntete und Kinder großzog, ohne das Geringste zu ahnen.
    Auf dem Gipfel ließ sich niemand nieder, denn die Höhen des Berges waren von der Gottheit, die der Stamm verehrte, für tabu erklärt worden. Jawan, der uralte Patriarch des Stammes, erzählte oft, wie die Gottheit seine Familie nur dank der Frömmigkeit seines Großvaters Noah errettet hatte. Seine Familie war, wie auch die Tiere, die sie zusammengesammelt hatten, von den Wassern verschont geblieben, die damals die ganze Erde überschwemmt hatten. Weil die namenlose Gottheit sie damals gerettet hatte, war der Stamm, der Noahs Lenden entsprungen war, ihr stets treu geblieben.
    Doch je höher der Gipfel in den Himmel wuchs und je mehr Zeit verging, desto spärlicher wurden erst die Dienste an Gott und dann die Erinnerung an ihn. Aus demselben Stamm entsprossen andere, die Erde, Himmel und Meer verehrten. Sie sahen in den Gipfeln der Inseln die Nüstern des Stieres, der mit seinem Gebrüll von Zeit zu Zeit die Erde zum Beben brachte. In großer Frömmigkeit und Eitelkeit krönten sie die Gipfel der Insel mit Pyramiden, deren Seiten mit Edelsteinen verziert waren und in denen sich große Räume befanden, wo die Priester lebten.
    Doch unter den mit goldenen Kreisen, schwarzen Streifen, roten Spiralen und Quadraten gefliesten Böden wuchs der Vulkan weiter. Wie der Stiergott, der ihn beherrschte, war der Berg in seinem Zorn allumfassend und ohne Ziel. Er wartete ab, während die Hitze, die einen Menschen verdampfen lassen konnte, immer weiter anwuchs, bis sie die einer Metallschmiede übertraf, dank der aus dem Boden unter dem Ozean gezogenen Kraft, wo tief im heißen Mutterleib der Erde Kataklysmen geboren wurden.
    Er wartete.
    AZTLAN
    Ileana zog ihre Lippen sorgfältig mit der scharfen Kante des Ockersteines nach, dann setzte sie den Farbstift an ihre Brustwarzen, gab einen Tropfen Wasser hinzu und färbte sie ebenfalls. Ein paarmal herzhaft hineingekniffen, und die Warzen
    stellten sich auf. Sie lächelte wohlgefällig.
    Ihre vielen Sommer waren gnädig zu ihr gewesen. Sie hatte immer noch die Figur einer Nymphe, und ihre Schönheit war so legendär, dass aus dem ganzen Reich und von noch weiter her Seeleute und Geschenke angereist kamen. Zelos gehörte ihr noch für kurze Zeit. Ileana schluckte, und ein ängstliches Zittern spielte in ihrer Braue. Während der Sonnwendfeier würde ihr Sohn zum Herrscher gekrönt werden, und sie würde zur Witwe. Phoebus hatte sie schon als Kind gehasst. Jetzt,
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