Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seemannsbraut

Die Seemannsbraut

Titel: Die Seemannsbraut
Autoren: Alexander Kent
Vom Netzwerk:
lief, war sie aus bester, abgelagerter kentischer Eiche gebaut. Aber die großen Tage des Schiffbaus waren für immer vorbei; heute waren die meisten Wälder ihres edelsten Holzes beraubt.
    Ironischerweise war ihr großer Gegner
Tornado
noch neu gewesen, und trotzdem hatte man ihn vor vier Jahren zur Gefangenenhulk gemacht. Bolitho fühlte wieder sein linkes Auge und fluchte, als ein Schleier es zu trüben schien. Er dachte an Haven und an all die andern, die seinem alten Schiff Tag und Nacht dienten. Wußten sie, daß der Mann, dessen Flagge im Vortopp wehte, auf dem linken Auge fast blind war? Bolitho ballte die Fäuste, als er sich jenes Augenblicks entsann, da ihn Sand, von einer feindlichen Kanonenkugel verspritzt, an Deck warf und blendete. Dann beruhigte er sich wieder. Nein, Haven schien außer auf seine Obliegenheiten auf nichts zu achten.
    Bolitho stützte sich auf einen der Stühle und grübelte. Soviel von ihm steckte in diesem Flaggschiff. Sein Bruder war auf dem Achterdeck gestorben, gefallen, um seinen einzigen Sohn Adam zu retten. Und der gute Inch, der es bis zum Ersten Leutnant der
Hyperion
gebracht hatte. Er sah ihn wieder vor sich mit dem offenen Grinsen auf seinem Pferdegesicht. Nun war auch er tot wie so viele. Wie Cheney – sie war ebenfalls über diese Decksplanken gegangen … Er stieß den Stuhl beiseite und trat verärgert an die Heckfenster.
    »Sie haben gerufen, Sir Richard?«
    Das war Ozzard, sein Steward. Was wäre das Schiff ohne ihn? Bolitho drehte sich um. Er mußte Cheneys Namen laut ausgesprochen haben. Wie oft und wie lange würde er sie noch so vermissen?
    Er sagte: »Ich … Tut mir leid, Ozzard.«
    Ozzard faltete seine Hände unter der Schürze wie Pfötchen und blickte auf die glitzernde Reede hinaus.
    »Alte Zeiten, Sir Richard?«
    »Aye.« Bolitho seufzte. »Wir sollten lieber in der Gegenwart bleib en.«
    Ozzard hielt ihm den schweren Rock mit den glänzenden Epauletten hin. Draußen vor der Tür hörte Bolitho das Trillern der Pfeifen und das Knarren der Taljen, als die Boote ausgeschwungen wurden.
    Landgang! Das war auch für ihn einmal ein Zauberwort gewesen.
    Ozzard beschäftigte sich mit dem Rock, nahm aber keinen der beiden Degen aus dem Gestell. Er und Allday waren enge Freunde, obwohl manche sie eher für Feuer und Wasser hielten. Allday erlaubte es keinem anderen, Bolitho den Degen umzuschnallen. Er war wie das alte Schiff, dachte Bolitho, ein Herz aus bester englischer Eiche; wenn er einmal abtrat, würde keiner seinen Platz einnehmen.
    Ozzard schien bestürzt darüber, daß er den alten Zweidecker gewählt hatte, obwohl er ein Schiff der Ersten Klasse hätte haben können. Auf der Admiralität hatten sie leise angedeutet, daß
Hyperion,
nach dreijähriger Reparatur und Ausrüstung wieder seetüchtig, sich von der letzten Schlacht trotzdem nie ganz erholen würde.
    Merkwürdigerweise war es Nelson gewesen, den Bolitho niemals getroffen hatte, der die Angelegenheit entschied. Irgend jemand mußte dem kleinen Admiral geschrieben und von Bolithos Ersuchen berichtet haben. Nelson hatte Ihren Lordschaften mit der für ihn typischen Kürze in einer Depesche mitgeteilt: »Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann!«
    Es hätte »Nel« amüsiert, dachte Bolitho.
Hyperion
war bis zu ihrer Wiederverwendung vor wenigen Monaten eine ausgemusterte Hulk gewesen. Aber Nelson selbst hatte seine Flagge auf der
Victory
gesetzt, einem Schiff der Ersten Klasse, das er als eine vor sich hin faulende Gefangenenhulk vorgefunden hatte. Seltsamerweise hatte er gewußt, daß nur sie als Flaggschiff für ihn in Frage kam. Soweit sich Bolitho entsann, war die
Victory
sogar acht Jahre älter als seine
Hyperion.
Irgendwie schien es nur richtig, daß die beiden alten Schiffe wieder auflebten, nachdem man sie trotz allem, was sie geleistet hatten, gedankenlos verstoßen hatte.
    Die Tür öffnete sich, und Daniel Yovell, Bolithos Sekretär, trat verdrossen ein. Bolitho wurde wieder weich. Wegen seiner schlechten Stimmung war es für keinen von ihnen leicht gewesen. Sogar Yovell, rundlich, gebeugt und so penibel in seiner Arbeit, hatte sich während der vergangenen dreißig Tage sorgfältig auf Distanz gehalten.
    »Der Kommandant wird gleich hier sein, Sir Richard.«
    Bolitho schlüpfte mit den Armen in den Galarock und zwängte sich schulterzuckend in die bequemste Haltung.
    »Wo ist mein Flaggleutnant?« Er mußte lächeln. Anfangs war es ihm schwergefallen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher