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Die Seemannsbraut

Die Seemannsbraut

Titel: Die Seemannsbraut
Autoren: Alexander Kent
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die niedrige weiße Decke, die grünen Lederstühle, die Lamellentüren, die zu seinem Schlafraum führten oder auf den Vorraum hinaus, wo ein Wachtposten seinen Privatbereich rund um die Uhr abschirmte.
    Er konnte sich gut an das letzte Mal erinnern, als er die
Hyperion
mit Mühe nach Plymouth gebracht hatte. An die starrende Menge, die sich am Ufer drängte, und an das Jubelgeschrei, mit dem man den heimkehrenden Sieger empfing. So viele waren gefallen, noch mehr für ihr Leben verkrüppelt nach dem Triumph über Lequillers Geschwader in der Biskaya. Und er dachte auch an die Eroberung seines großen HundertKanonen-Flaggschiffs
Tornado,
das er später als Flaggkapitän eines anderen Admirals führen sollte.
    Aber es war dieses Schiff, dessen er sich am besten entsann: die
Hyperion
mit ihren vierundsiebzig Geschützen. Er war zu ihrem Liegeplatz in Plymouth gegangen, um ihr zum letztenmal Lebewohl zu sagen, wie er jedenfalls glaubte. Da lag sie, zerschlagen und von Kugeln aufgerissen, Takelage und Segel zerfetzt, die gesplitterten Decks von Blut befleckt. Es hieß, sie würde nie wieder kämpfen. Während sie sich bei schlechtem Wetter heimwärts gequält hatte, sah es mehrmals so aus, als würde sie doch noch sinken. Als er sie im Dock so daliegen sah, hatte er fast gewünscht, sie hätte ihren Frieden auf dem Meeresgrund gefunden. Im weiteren Verlauf des Krieges, der sich verschärfte und ausweitete, hatte man sie zu einem schwimmenden Vorratslager gemacht. Mastenlos, ihre einstmals so belebten Batteriedecks mit Kisten und Kästen vollgepackt, war sie zu einem Teil des Arsenals geworden.
    Die
Hyperion
war das erste Linienschiff gewesen, das Bolitho kommandierte. Damals wie heute war er im Herzen ein Mann der wendigeren Fregatten geblieben. Die Vorstellung, Kommandant eines Zweideckers zu werden, hatte ihn entsetzt. Aber er hatte trotzdem nicht gezögert, wenn auch aus anderen Gründen. Von einem Fieber heimgesucht, das ihn in der Südsee fast umgebracht hätte, war er an Land stationiert gewesen und hatte Mannschaften rekrutiert. Die Französische Revolution fegte wie ein Flächenbrand über den Kontinent. Als ob es gestern gewesen wäre, entsann er sich auch des Tages, als er sein Schiff in Gibraltar betreten hatte. Die
Hyperion
war alt und müde gewesen, trotzdem hatte sie ihn fasziniert, als hätten sie einander auf irgendeine Weise gebraucht.
    Bolitho hörte das Trillern der Pfeifen und das Platschen, mit dem der Anker in dieses Gewässer fiel, das er so gut kannte. Bald würde sein Flaggkapitän weitere Befehle erbitten. So sehr er es auch versuchte, Bolitho vermochte in Kapitän Haven weder einen inspirierenden Kommandanten noch seinen persönlichen Berater zu sehen. Er war ein zu farbloser, sachlicher Mensch. Trotzdem wußte Bolitho, daß er Haven unrecht tat, denn er war nur wenige Tage vor der Überfahrt nach Westindien an Bord gekommen und hatte sich in den folgenden dreißig Tagen in seinen Räumen fast völlig isoliert, so daß sich sogar sein Bootssteurer Allday sorgte.
    Das lag wahrscheinlich an Havens Verhalten bei ihrem ersten gemeinsamen Rundgang durchs Schiff an dem Tag, bevor sie in See stachen. Haven hatte es offenbar als merkwürdig empfunden, daß sein Admiral mehr zu sehen wünschte als nur seine Kajüte und das Achterdeck, ganz zu schweigen von seinem Interesse für die Batterien und den untersten Raum im Schiff, das Orlopdeck. Wie sollte Haven auch verstehen? Es war nicht seine Schuld.
    Bolitho hatte Havens offensichtliche Unzufriedenheit mit diesem alten Schiff wie eine persönliche Kränkung aufgenommen. »Sie mag alt sein, Kapitän Haven, aber sie hat schon viele weit jüngere besiegt«, rügte er. »In der Chesapeake Bay, bei den Saintes, vor Toulon und in der Biskaya – ihre Verdienste im Kampf lesen sich wie eine Geschichte der Navy selbst!« Seine Reaktion war ungerecht gewesen, aber Haven hätte es besser wissen sollen.
    Jeder Schritt auf diesem Rundgang hatte seine Erinnerungen wieder aufleben lassen. Die Gesichter und Stimmen paßten nicht mehr, aber das Schiff war noch immer dasselbe. Sie hatte neue Masten bekommen, auch die Kanonen, mit denen sie die Breitseiten von Lequillers Tornado erwidert hatte, waren zum größten Teil durch schwerere ersetzt, dazu leuchtende Farbe und sauber geteerte Decksnähte; doch nichts konnte ihm seine Hyperion entfremden. Er blickte sich um und sah sie wie zuvor. Dabei war sie immerhin zweiunddreißig Jahre alt. Als sie in Deptford von Stapel
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