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Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2
Autoren: Celia Friedman
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zurückhalten. Sie legte den Kopf auf seine reglose Brust und ließ der Trauer und der Angst, die sich angestaut hatten, freien Lauf. Wozu sich noch beherrschen? Rhys war tot. Ihr Kind war tot. Sie hatte alles verloren, was ihr wichtig war.
    Als die Gardisten von der Zitadelle schließlich kamen, um die Lebenden zu fesseln und die Toten einzusammeln, ließ sie nicht zu, dass sie Rhys wegbrachten, sondern klammerte sich unkontrolliert zitternd an ihn. Doch irgendwann überwältigte sie die Erschöpfung, und die Welt versank in gnädiger Dunkelheit.

Kapitel 29
    Ein Sturm war im Anzug.
    Anukyat stand auf der Spitze der dritten Schwester und beobachtete, wie er sich am südlichen Horizont zusammenbraute. Die dicken schwarzen Wolken kamen langsam näher. Regenschauer fegten über die Landschaft. Von Norden zuckten Blitze über den Himmel, Sekunden später folgte der Donner und ließ den Fels unter seinen Füßen erbeben.
    Er sollte zusehen, dass er unter Dach kam, bevor der Regen die Zitadelle erreichte. Der Stein würde rasch glatt und damit gefährlich werden. Und er wollte auf keinen Fall ausgerechnet an dem Ort den Halt verlieren, wo er erst vor Kurzem seine Ehre verloren hatte.
    Vielleicht wäre es aber auch ein durchaus passendes Ende.
    Er war hier heraufgekommen, um zu beten, hatte aber bald festgestellt, dass er dazu nicht imstande war. Nicht einmal fluchen konnte er, den Himmel lästern oder sich auf andere Weise von den Gefühlen befreien, die sich in ihm angesammelt hatten und seine Seele in Stücke zu reißen drohten. Sie waren zu mächtig für Worte, zu unstet, als dass sie sich mit einem so handfesten und begrenzten Instrument wie der Sprache fassen ließen.
    Er hatte versagt.
    Das Ausmaß dieses Versagens war mit dem Verstand nicht zu fassen. Seine Anfänge lagen tausend Jahre in der Vergangenheit, und die Zukunft … die Zukunft musste sich erst noch offenbaren. Im Moment wusste er nur, dass seine Vorfahren für eine Aufgabe ihr Leben hingegeben hatten, die er verraten hatte. Und dass seine Nachkommen den Preis dafür bezahlen mussten.
    Das war zu viel für ein menschliches Herz.
    Ein Blitz zerriss die Gewitterwolken, so grell, dass er geblendet die Augen schloss. Er zählte die Sekunden, bis der Donner wie ein Peitschenschlag durch die Luft fuhr. Fünf. Nur noch fünf. Bald wäre das Unwetter über ihm.
    Ein weiteres Geräusch war plötzlich zu vernehmen, langsame, rhythmische Schläge, als knatterten Fahnen im Wind. Sie jagten ihm kalte Schauer über den Rücken, aber er drehte sich nicht um, nicht einmal, als hinter ihm Klauen über den Fels scharrten und menschliche Schritte zu hören waren.
    »Sie werden den Heiligen Zorn wiederherstellen«, sagte Anukyat, den Blick starr nach vorn gerichtet. »Nachdem die Wahrheit nun bekannt ist, werden sich Freiwillige finden, um das Opfer zu bringen.« Ich selbst würde mich melden , dachte er, aber ich glaube nicht, dass die Götter das Opfer eines Verräters annehmen.
    »Es ist zu spät«, sagte Nyuku.
    Nun wandte sich der Oberste Hüter langsam zu seinem Besucher um. Oder vielmehr zu seinen beiden Besuchern. Der erste, ein Mann, trug eine bläulich schwarz schillernde Rüstung, die so blank poliert war, dass sie glänzte; das Haar war am Hinterkopf zu einem straffen Zopf geflochten, sodass die Kannoket-Züge durch nichts verdeckt waren. Hinter ihm kauerte ein mythisches Geschöpf am Rand des Felsturms und schlug langsam mit den breiten, geäderten Schwingen. Der Kopf auf dem langen Schlangenhals schwankte rastlos vor den Füßen seines Herrn hin und her. Die Haut hatte dieselbe Farbe wie der Harnisch des Mannes, was die beiden eher wie Teile eines einzigen Wesens denn wie zwei getrennte Individuen aussehen ließ. Und so verhielt es sich ja letztlich auch.
    »Du hast mich belogen«, beklagte sich Anukyat. Wieder entlud sich ein Blitz. Die ersten Regentropfen klatschten gegen den Granitturm, die Vorhut des nahenden Sturms.
    »Worüber? Über deine Herkunft? Das Schicksal der Kannoket? Nichts von alledem war erfunden.« Nyuku lächelte kalt. »Nichts von alledem brauchte erfunden zu werden.«
    Welch gewandtes Auftreten, welch geschliffene Ausdrucksweise! Das ungehobelte Benehmen, das einst seine Herkunft verraten hatte, war längst Vergangenheit; inzwischen war er so weltgewandt, dass er sich ohne aufzufallen unter die Morati-Fürsten hätte mischen können. Anukyat hatte an seiner Erziehung mitgewirkt. Auch Nyukus Brüder wären sicherlich imstande, sich
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