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Die Seele heilen

Die Seele heilen

Titel: Die Seele heilen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wehner-Zott , Hubertus Himmerich
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Psychopharmaka, erfahren meist eine unbegründet abschätzige Beurteilung. Hier besteht also ein erheblicher Bedarf an Aufklärung, damit psychisch Kranke sich nicht schämen, die von ihnen benötigte und ihnen zustehende Behandlung in Anspruch zu nehmen.

    »Ich bin doch nicht bekloppt«
    Nicht selten werde ich von Kollegen anderer Fachrichtungen zu körperlich schwer kranken Patienten gerufen, die eine depressive Symptomatik entwickelt haben. Manche leiden an Krebs, andere an schweren Entzündungen oder Stoffwechselerkrankungen. Von diesen Patienten bekomme ich oft zu hören, dass es eine Unverschämtheit sei, für sie einen Psychiater zu rufen; sie seien schließlich nicht »bekloppt« oder »unzurechnungsfähig«. Selbst in der größten Not möchten sich diese Patienten – aufgrund von falschen Vorstellungen und Vorurteilen – nicht helfen lassen, obwohl es gut belegt ist, dass bei schweren körperlichen Erkrankungen die psychotherapeutische oder psychopharmakologische Behandlung den weiteren Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen kann.

Manche Patienten berichten, dass ihre Depression ganz plötzlich begonnen hat. Häufig entwickeln sich Depressionen jedoch langsam. Irgendwann aber ist auch bei schleichendem Beginn ein Zustand erreicht, den man »Akutphase« nennt. Dann heißt es, möglichst schnell eine Behandlung zu beginnen, denn das verspricht den größten Erfolg auf Heilung.

    Die Akutphase einer Depression wird hier aus Betroffenenperspektive und aus fachmedizinischer Sicht geschildert. Wichtig ist, das wird aus beiden Sichtweisen deutlich, die Depression als behandlungswürdige Krankheit anzuerkennen.
    SABINE WEHNER-ZOTT
Meine »bösartige Traurigkeit«
    Wie bei den meisten Betroffenen begann sich auch bei mir die Depression langsam zu entwickeln. Ich war durch unseren Hauskauf über Wochen hinweg sehr gestresst – neben meinen normalen Pflichten in Familie und Beruf musste ich die Renovierung planen sowie unser altes Haus und das Haus meiner verstorbenen Schwiegermutter ausräumen und verkaufen. Ich hatte mich schon länger unwohl, besorgt und erschöpft gefühlt. Aber langsam merkte ich, dass diese negativen Gefühle eine andere Qualität bekamen. Ich glaube, ich kann mich noch an den genauen Zeitpunkt erinnern, an dem mein Stimmungstief anfing, sich in eine »bösartige Traurigkeit« zu verwandeln – so nennt der selbst an Depression erkrankte Biologe Lewis Wolpert den depressiven Zustand.
    Durch meine »Schuld«
    Mein Mann hatte bemerkt, dass es mir seit einiger Zeit nicht so gut ging wie sonst und ich unter Stress litt. Um mich aufzumuntern, hatte er mich auf eine Geschäftsreise nach Finnland mitgenommen. In Helsiniki ging ich mit ihm eine Straße entlang, die Sonne schien und eigentlich hätte alles schön sein können, aber da sprang mich plötzlich die »Erkenntnis« an, ich und nur ich ganz allein war für unseren Schuldenberg verantwortlich, weil ich eine zu kostspielige Renovierung unseres neuen Hauses gewollt hatte. Der Gedanke nistete sich in meinem Hirn ein und ich verbiss mich regelrecht in diese fixe Idee. Ich konnte mich fast nur noch mit dem Horrorszenario beschäftigen, das meiner Meinung nach aus meinem »Fehler« folgen würde. Wenn ich große Anstrengungen aufbrachte, konnte ich Gesprächen zwar eine Zeit lang folgen, aber schon sehr bald glitten meine Gedanken ab und ich dachte wieder den einen schrecklichen Gedanken: »Durch meine Schuld sind wir ruiniert und die Kinder werden darunter leiden müssen.«
    Die schwarze Decke der Depression
    Dieser Gedanke kreiste in jener Nacht in Helsinki in meinem Kopf, er ließ mich immer wieder vom Bett aufspringen. Den darauf folgenden Tag konnte ich die schreckliche »Erkenntnis« noch für mich behalten, dann musste ich sie meinem Mann wieder und wieder mitteilen. Zuerst achtete ich noch darauf, dass keine fremden Menschen zuhören konnten. Dann wurde der Gedanke aber so mächtig in mir, dass er »raus« musste, egal ob irgendjemand mithören konnte oder nicht. Es war wie ein Triebstau, der sich entladen musste. Ich musste davon reden und während des Redens erfuhr ich so etwas wie Erleichterung. Aber der Druck baute sich dann bald wieder auf und musste sich von Neuem entladen, egal wo und wann. Es war, als ob ich die Kontrolle über mich verloren hätte. Ich mache normalerweise keine Szenen in der Öffentlichkeit, aber nun musste ich meinem Mann lautstark immer wieder erklären, dass wir die Renovierungen nie und nimmer würden

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