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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans
Autoren: Britta Strauß
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Gewalt auf seinen Kopf ein, gleichzeitig bohrten sich rostige Nägel in seine Knie. Die Qual goss Öl in das Feuer seines Zorns. Drei torkelnde Schritte trugen ihn durch den engen Flur, vier weitere hinüber zu Kjell, der seine Heimlichkeit gegen verzweifeltes Rütteln austauschte.
    „Nutzloser Bengel!“ Angus packte den Jungen, schleuderte ihn herum und schlug ihm mitten ins Gesicht. Kjell ging zu Boden. Schmerz verzog die eisigzarten Züge. Im kristallenen Türkis seiner Augen blitzte die Wut. Gedemütigt kauerte der Junge vor ihm auf den alten Holzdielen und zitterte. Das braune Hemd, das er ihm gegeben hatte, war viel zu groß und ließ ihn zusammen mit den nackten Beinen und Füßen schrecklich verletzlich aussehen. Einen Moment lang klärte sich die Wut in Angus’ Gehirn.
    Heilige Mutter Gottes, dieses Wesen war so schnell gewachsen, weitaus schneller als jeder Mensch. Inzwischen sah er aus wie ein Dreizehnjähriger, obwohl er ein kleines Kind hätte sein müssen. Sein Anblick erschreckte Angus jeden Tag aufs Neue.
    Kjells Haut war wie dünnes Eis, auf dem sich Mondlicht spiegelt. Sein schulterlanges Haar schien aus Silberfäden zu bestehen und seine Augen aus türkisfarbenem Kristall. Er war so hell und rein, dass es im Herzen wehtat, ihn anzusehen. Wie ein Geschöpf aus frostigem Winterlicht.
    Immer, wenn Angus ihn ansah, kamen ihm solche komischen Vergleiche in den Kopf. Tränen brannten in seinen Augen. Was hatte er nur getan? Niemals würde er in den Himmel kommen, wenn er diesem Jungen wehtat. Fiona würde es das Herz zerreißen, könnte sie ihn so sehen, und vielleicht sah sie ihn auch. Dort oben, vom Paradies aus.
    Sie würde sagen: Angus, warum bist du nicht mehr der Mann, den ich liebte? Dieses Kind ist mein Fleisch und Blut. Ich habe es geboren. Warum tust du ihm weh?
    Er nahm Kjell bei den Schultern und zog ihn behutsam auf die Beine. Der Schmerz in seinem Kopf pochte und hämmerte, als er den Jungen umarmte. Oh, er war solch ein Schwächling. Solch ein unbeherrschter Idiot. Schlaff hing Fionas Sohn in seinen Armen, als sei kaum mehr Leben in ihm. Doch der Atem, der sich in rhythmischer Abfolge gegen Angus’ Brust drückte, war kraftvoll und ruhig.
    „Es tut mir leid.“ Das silberne Haar streifte seine Lippen, während er sprach. Es war viel zu weich und roch nach Meer, obwohl er den Jungen nicht einmal ans Wasser gelassen hatte.
    „Das ist dir doch klar, oder? Manchmal weiß ich nicht, was ich mache. Verzeih mir.“
    Kjell antwortete nicht. Angus schob ihn ein Stück von sich weg, hielt ihn mit ausgestreckten Armen an den Schultern fest und sah ihm in die Augen. Im nächsten Moment glaubte er, in türkisfarbene Abgründe zu stürzen. Er fiel in ein lichterfülltes Meer, das keinen Grund besaß. Die Helligkeit war wunderschön, und doch empfand er nichts als nackte Panik. Ihm wurde heiß. Sein Körper schien zu brennen und sich aufzulösen. Hatte sich so Fiona gefühlt?
    Ein Schrei krallte sich in Angus’ Kehle fest, dann endete das Gefühl so schnell, wie es gekommen war. Jetzt war er es, der zitternd in den Armen des Jungen hing. Heilige Mutter Gottes, was war das gewesen?
    Geschah das, wovor er sich all die Jahre gefürchtet hatte?
    „Ich vermisse sie so sehr“, kam es unkontrolliert über seine Lippen. „Es ist nur das. Ich vermisse sie so furchtbar. Wir hatten so viel vor. Wir hatten so viele Träume. So viele Pläne. Und dann war es einfach vorbei. Ich wollte meiner Familie die Welt zeigen. Ich wollte eine Zukunft mit euch. Alles war in meinem Kopf. Ich habe alles ganz genau vor mir gesehen, und dann ist es einfach vorbei. Bei Gott, das Schicksal ist ein Scheusal. Aber ich darf es nicht an dir auslassen.“
    In Kjells Blick lag ein Mitgefühl, das er nicht verdient hatte. Aber da war auch noch etwas anderes. Etwas Fremdartiges, das jeden Augenblick hervorbrechen konnte. Angus’ Knie wurden weich. Diese Macht durfte niemals geweckt werden. Aber was sollte er tun? Wie sollte er ihn kontrollieren? Der Junge wurde so schnell größer und stärker.
    „Ich will dich nur beschützen“, drang er auf ihn ein. „Die Welt dort draußen ist schlecht. Sie würde dich vernichten. Komm, ich zeige es dir.“
    Er zog die Kette mit dem Schlüssel unter seinem Schlafanzugoberteil hervor, streifte sie über seinen Kopf und schloss auf.
    Kjells Blick wurde ungläubig, als sich die Tür vor ihm öffnete.
    „Du lässt mich raus?“
    Die Stimme des Jungen klang wie kühler, streichelnder Samt. Nein,
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