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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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Universitätsplatz geweiht worden waren und die Revolutionärsurkunden sich in geometrisch steigenderZahl vervielfacht hatten, war ihr der Platz in der ersten Reihe sicher. Es schien jetzt, als hätten sich alle Emporkömmlinge und Profiteure dieses Landes damals am »21., 22., wer hat da auf uns geschossen« auf den beiden Zwillingsplätzen versammelt, um sich unter den zwei Balkonen zu verteilen, die einen vor dem Zentralkomitee, die anderen auf dem Universitätsplatz.
    Terry hatte von ihrer Freundschaft zu Dimi profitiert, sie hatte seinen Bauch und seinen manchmal etwas zu wilden Schwanz ertragen, während sie im Kopf durchgegangen war, wo es für sie rentabler wäre, in der FSN, als ziviles Mitglied der Gesellschaft oder – warum nicht – in der UDMR. Ich weiß nicht, ob du Dimis Roman gelesen hast, die Wahrheit ist, er war einer der wenigen, die ihr Leben wirklich aufs Spiel setzten, in dieser Latrine haben unsere heldenhaften Intellektuellen ihn wohl ganz schön hinters Licht geführt, nun ja. Ungefähr das sagte Anna dem stocksteif Dasitzenden über Dimi und Terry. Das Benehmen unserer Elite wird mir immer klarer; sie sind von Haus aus Opportunisten, sie vernichten sofort jeden, der sich zu weit rechts oder links von ihnen befindet, erklären ihn für asozial und folglich nicht anpassungsfähig … Kurz nach der Revolution oder dem Staatsstreich, das ist für mich dasselbe, wurde Terry wieder zu einem Kongress nach Österreich eingeladen. Unglaublich, zu Hause war sie für mich unerreichbar, hier kam sie plötzlich auf mich zu. Es war wirklich ein wahrer Freudenrausch, als wir uns in die Arme fielen, als wäre nie etwas vorgefallen. Anna vergisst zusehends die Anwesenheit des Mannes vor ihr. Sie ist so sehr mit Terry beschäftigt, dass ihr Interesse an ihm erlischt. Der Mann nutzt ihre Abwesenheitund liest gedankenverloren die Buchtitel im Regal. Der grüne Blick wird hell, wird dunkel, verharrt, wandert weiter, je nachdem, welchen Namen er streift, wie auf der Straße, wenn man gute oder weniger gute Freunde trifft. Während dieses kurzen Zwischenspiels hängen beide in völliger Einsamkeit ihren Gedanken nach. Fast beängstigend, dass zwei Menschen voreinander sitzen können, ohne sich zu sehen. Was die Dissidenten anbelangt, so stimme ich mit Dinescu überein; auch ich finde, die einzigen Helden sind die Toten. Ich hatte zwei Freunde, die auf tragische Weise ums Leben gekommen sind, einer war Gigi Vătăoşiu, der einzige Student, in den ich mich an der Uni verliebte, ich war im ersten Studienjahr, er im zweiten. Und der andere war Rolf Bossert, ich habe dir erzählt, dass er so ähnlich starb wie Celan, ihn lernte ich erst viel später bei Csejka kennen. Gigi Vătăşoiu traf ich bei Călinescus Vorlesungen im Odobescu-Hörsaal. An manchen Lehrveranstaltungen nahmen die Studenten aus dem ersten und dem zweiten Studienjahr gemeinsam teil. Er war immer in Begleitung einer hübschen Brünetten, aber seine Blicke suchten nach mir. Ich habe diesen Tick mit den Augen. Alle meine Affären haben mit den Augen begonnen. Mich erregt nichts so sehr wie ein Blick. Der Mann horcht auf, und sein grüner Blick verhakt sich in ihrem wie ein Angelhaken im Fisch. Ihre Iris trübt sich ein wenig, sie entwischt von der Schnur und schwimmt weiter im eigenen Gewässer. Ich weiß noch, es war der 13. April, seit damals hat für mich jede große Liebe am 13. April begonnen, er folgte mir den Bulevard Brătianu entlang von der Universität bis hinauf zur Piata Romană; um vornehm zu scheinen, blieb ich absichtlich nur vor Schaufenstern mit Büchern oder Blumenstehen. Er holte mich schnell ein, natürlich, ich hatte es ja selbst darauf ankommen lassen. Unsere Affäre begann wie alle Liebesgeschichten jener Jahre mit einer wirklichen Kitschszene. Dem Fräulein gefallen Gedichte und Blumen, hörte ich ihn hinter mir. Was ich damals sofort hinreißend fand, war das Wort Fräulein, er benutzte es in einer Zeit, in der alle Jungen um mich herum Genossin zu mir sagten … und Musik, fügte ich hinzu. Von da an begannen all unsere Worte und Gesten sich zu ergänzen. Du kennst das, man muss sich nicht mehr verabreden, weil der eine den Weg des anderen kreuzt, als hätte er ihn gerufen. In diesem Jahr fiel Ostern auf den 23. April, auf seinen Geburtstag. Abends ging ich in die Heilige Wojewodenkirche und sah ihn dort zwischen den Gläubigen, hochgewachsen und schlank, mit einem Kindergesicht, es war nichts Männliches an ihm. Ich sagte
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