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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen
Autoren: Valeria Luiselli
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vierten Versuch entschuldigt sie sich bei mir. Ich kann das Porträtbild leider nicht machen, da ist irgendetwas mit unserer Kamera nicht in Ordnung. Kommen Sie in ein paar Tagen wieder.
    *
    Es wimmelt vor Kakerlaken. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber sie sind überall. Vielleicht sind bei dem Erdbeben die Frösche des Nachbarn umgekommen und die Kakerlaken haben sich vermehrt.
    *
    Ich gehe nicht wieder ins Fotostudio. Ich mag nicht mehr aus dem Haus. Heute Morgen habe ich die Tür geöffnet und ein lautes Geräusch gehört, als hüpften Frösche die Treppen des Gebäudes rauf und runter. Ich bekam dann eine Art Anfall: Meine beiden Beine wurden steif wie die Säulen des Parthenons,und die Hände wurden von einem Zittern erfasst. Ich schloss die Tür doppelt ab und schritt zum Wohnzimmer, glitt mit der Hand an der Zeitungsmauer entlang, die nun schon fast vollständig die linke Wand des Ganges verdeckt (an der rechten steht ein Bücherbord). Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich Ezra Pound, der auf meiner Recamière lag und sich etwas auf ein Blatt notierte. Über seinem Kopf kreisten Fliegen in perfekten Kreisen und ergaben einen Spiralwirbel. Er war zutiefst auf seine Arbeit konzentriert, und ich wollte ihn nicht stören, befürchtete, einen wichtigen oder zumindest geistreichen Vers zu unterbrechen. Ich ging hinüber in die Küche und tauchte wieder in meine ruhige Finsternis ein. Ich mochte die Küche nicht mehr verlassen. Ich habe den ganzen Tag nach den drei Scheißyankees gerufen, aber, typisch Katze, sie sind nicht zurückgekommen.
    *
    Ich glaube, ich wäre lieber einfach nur blind. So einfach zu verschwinden, zu verschwimmen, erscheint mir nicht gerade die beste Weise, meine Tage zu beenden. Vor allem aber: Ich hatte mich schon bestens damit abgefunden, nichts und niemanden sehen zu müssen. Und jetzt auf einmal erscheint Nella im Badezimmer, Pound auf meiner Recamière. Heute schien es mir, als hörte ich ganz klar die leicht näselnde Stimme von Guty Cárdenas
Ein kleiner Sonnenstrahl
singen. Scheißyankees, wo seid ihr nur.
    *
    Die Erzählerin im Roman müsste eine Art Emily Dickinson sein. Eine Frau, die für immer in ihrem Haus oder in einem Metrowaggon, das ist egal, eingeschlossen ist und mit ihren Gespenstern redet.
    *
    Ich hatte völlig recht mit meinen Befürchtungen. Heute kam ich in die Küche, und da stand Federico und rasierte sich am Spülstein die Beine. Neben ihm Z, er saß an meinem Tisch und putzte seine Brille. Ich zog vor, nichts zu sagen – man hat mich in dem Glauben erzogen, dass es immer besser ist, kein Aufhebens zu machen, obwohl mein erster Impuls war, Federico zu sagen, dass es auch langsam Zeit wurde, sich die Wolle von den Waden zu kratzen. Ich schenkte mir ein Glas Wasser ein, griff mir meinen Orangenbaum und schloss mich in meinem Zimmer ein, um über den Roman nachzudenken.
    *
    Der Mittlere sagt, wenn man einer Kakerlake den Kopf abschneidet, dann lebt sie noch zwei Wochen.
    *
    Den ganzen Tag über das Summen eines Moskitos, das sich in die Sirene eines fernen Krankenwagens verwandelt, der nie näher kommt, dann wieder zur Mücke wird und erneut zur Sirene. Ich frage mich, ob das mein letzter Halt in der Welt sein wird: ein Dopplereffekt, der in nichts gipfelt, nie aufhört. Ich schwitze und krieche ins Bett.
    Durch die Tür kommt William Carlos Williams und sagt:
    Ich hab jetzt schon den ganzen Tag Kinder in Krankenwägen entbunden. Warum gebären die Frauen nicht mehr im Krankenhaus?
    Ich weiß nicht.
    Wenn du erlaubst, Gilberto, gehe ich mal in dein Bad und wasche mir die Hände.
    Nur zu, William. Oder heißt du Carlos?
    Ich ziehe das Laken übers Gesicht und versuche zu schlafen.
    *
    Wir haben Angst vor der Nacht, weil die Kakerlaken dann herumspazieren und wir sie nicht sehen. Ich schlafe unter dem Küchentisch, die beiden Kinder an mich gedrückt, um jedes einen Arm. Ich wache von dem Geräusch der Beinchen auf, die über den Zement oder das Metall der Waschschüssel schaben. Ich decke den Kindern die Ohren ab, damit die Kakerlaken nicht in ihre Ohren krabbeln, nicht in ihre Träume.
    Was ist das für ein Geräusch, Mama?
    Das ist nichts.
    *
    Ich lege mein Gesicht frei und sage zu William Carlos, der endlich aus dem Bad gekommen ist, nun am Fußende meines Betts steht und mich ansieht:
    Wie findest du diesen Vers?
Stilles Wasser Lied vom Nichts sehen, Nichtshören, das nichts ist.
    Nicht schlecht.
    Er geht aus dem Zimmer. Ich bedecke mein Gesicht wieder. Die
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