Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen
Autoren: Valeria Luiselli
Vom Netzwerk:
anbot, noch so ein hochbegabter Autist, der sich jetzt bemühte, eine Meute von Yankees zufriedenzustellen; Schwarze, aber am Ende doch Yankees. Ich machte mich noch kleiner: ein Chihuahua unter Mastinos. Der junge Limón stand vom Boden auf, wahrscheinlich von den Drinks und der allgemeinen Euphorie mutig geworden, ging zum Klavier und stellte sich dazu. Als Federico die letzte Passage beendet hatte, sagte er ihm etwas ins Ohr. Der Españolet gab ihm ein Lächeln zurück und spielte sodann einen Walzer.
    Limón begann zu tanzen, oder so etwas Ähnliches, und Federico machte weiter. Die Gäste traten beiseite, bildeten einen Halbkreis; sie beobachteten die beiden, ein wenig so, wie man tropische Krebse in einem Aquarium beobachtet. Limón bewegte den Torso und die Arme, als seien es unabhängige Teile eines Pendels. Er hob die Beine hoch über seinen Kopf hinaus, nahm die Musik vorweg, um wieder in den genauen Takt einzufallen. Da lag etwas von traurigem Virtuosentum in diesem festen, schlanken dunklen Körper, der mit Leben und Tod, Fall- und Schwebemomenten verhandelte. Federico – das war offensichtlich – verging Hören und Sehen zwischen den Beinen von Limón.
    Ich war ehrlich angerührt, während hier und da ein Lachen unter den Gästen laut wurde. Zunächst schüchternes Lippenbeben, später Zähne und prustende Lippen, dann Bäuche, Brustkästen, ganze Körper bogen sich in schallendem Gelächter, das sich über diesen siebten Stock hinaus ausdehnte, über diese Nacht der losgelassenen Meuten hinaus.
    Lachen wirkt verheerend: Es kann alles zerstören, was man ehrlich ausdrückt, verdreht es und zeigt seine lächerliche Seite. Ich wandte den Blick ab zum Fenster, die Stadt mit ihren Lichtern, diese Dunkelheit, die jede Sphäre künstlichen Lichts umgibt. Federico spielte bis zum Ende und Limón tanzte weiter. Als sie fertig waren, klatschte ich fieberhaft, und die anderen tanzten ihre Sachen, am Klavier saß wieder Nella. Limón verschwand vom Erdboden, wie es die Gespenster oder die Tapferen tun; ich blieb auf meinem Platz am Boden sitzen, sah den Schwarzen beim Tanzen zu und klatschte gehorsamnach jedem Lied, bis es dämmerte und Federico mich da herausbrachte.
    Glaubst du Schwuchtel mir wirklich nicht, dass ich meine künftigen Gespenster in der Subway sehe?, fragte ich Federico auf dem Heimweg. Der Broadway, seine Pfützen wie große Silbermünzen, der Himmel bei Tagesanbruch etwas traurig und dösig, wie fast immer in dieser Stadt.
    Ich glaub’s dir, Gilberto, ich glaub’s: Heute haben wir mein Gespenst tanzen sehen.
    Ein wenig betrunken und mit dieser sehr südamerikanischen Gefühligkeit, die einem nach zu vielen Gläsern anhaftet, umarmte ich ihn und sagte, dass ich ihn wirklich liebte, und dass hoffentlich auch wir eines Tages zu Gespenstern in der Subway würden, dann könnten wir uns wenigstens für den Rest der Ewigkeit von Waggon zu Waggon grüßen. Gott behüte, erwiderte er.
    *
    Ein vertikaler Roman, horizontal erzählt. Eine Geschichte, die man von unten sehen muss, wie Manhattan von der Subway aus.
    *
    Vielleicht ist die Kraft das Letzte, was ein Mann verliert. Dann, wenn auch die verloren ist, wird der Mensch zu einem Sack voll Knochen und Ressentiments. In früheren Zeiten war ich ein Mensch voller Energie, ich war fähig, eine norwegische Prostituierte an der Hand zu nehmen und mit ihr durch eine Straße in Harlem zu rennen, sie hoch zu meinerTerrasse zu schleppen und ihr den Rock hochzuschieben. Auch Iselin begann man von unten her zu sehen. Manchmal bat ich sie darum, sich aufs Bett zu stellen, und ich blieb unter ihr liegen und schaute nur.
    *
    Jetzt habe ich das mit dem Erinnern der Zukunft begriffen.
    Ich gratuliere, Owen.
    Vor einigen Monaten habe ich eine Prostituierte kennengelernt, und neulich haben wir auf meiner Dachterrasse als Liebespaar gelegen, und ich habe ihr den Kopf gestreichelt, bis die Sonne aufgegangen ist.
    Doppelte Gratulation, mit einer Prostituierten schlafen.
    Irgendwie wusste ich, dass ich mich in der Zukunft an diesen Augenblick erinnern und erkennen würde, dass es der einzige ist, der all meine Liebesgeschichten rechtfertigt, und dass alle anderen Frauen für mich ein Versuch sein würden, zurück auf diese Dachterrasse zu gelangen, zu dieser Frau.
    Ich glaube, Sie haben gar nichts begriffen.
    *
    Um so etwas wie Gegenseitigkeit herzustellen, vermute ich, bat Federico mich und Z an denselbigen Ort, um uns einige Gedichte vorzulesen, an denen er in letzter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher