Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
die Nachricht vom Fund der Leiche eintraf.«
    »Weshalb hat er sich an Sie gewandt?«
    »Das fragen Sie am besten ihn selbst. Ich bin ihm wohl empfohlen worden.« Ich deutete auf Manfridus, der verlegen zusammenzuckte. »Das ist Michael Manfridus, der Herbergswirt, bei dem wir Logis genommen haben.«
    »Ich kenne den Mann«, sagte er, ohne Manfridus eines Blickes zu würdigen. Der Herbergswirt schien sich zu fragen, ob er sich über seinen Bekanntheitsgrad freuen oder vielmehr beunruhigt sein sollte, dass ein ihm unbekannter Polizist wusste, wer er war. Die Schalen einer dritten Nuss fielen zu Boden. »Wen meinen Sie mit ›wir‹?«
    »Meine Gefährtin und mich.«
    »Gefährtin?«
    Ich verdrehte die Augen. »Vielleicht hatte Pegno ein Muttermal oder etwas Ähnliches, an dem Dandolo ihn erkannt hat«, erklärte ich.
    »Ihr Name lautet … Bernward?« Der Mann stolperte ein wenig über den unvenezianischen Namen.
    »Das ist richtig. Herr Manfridus kann für mich zeugen.« Manfridus nickte würdevoll. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
    Er sah durch mich hindurch, ohne mir zu antworten. Nicht ich war es, dem hier die Rolle des Fragestellers zukam.
    »Ich wusste nicht, dass die Namen der Inquisitoren so geheim sind, dass sie sie selbst schon vergessen haben.«
    Michael Manfridus holte überrascht Luft. Beinahe hätte er mir auf die Zehen getreten. In den Augen des Polizisten regte sich etwas.
    »Ich bin kein Inquisitor.«
    Ich wandte seine eigene Taktik an und starrte durch ihn hindurch, ohne auf ihn einzugehen.
    »Ich bin milite Paolo Calendar«, sagte er schließlich widerwillig. »Ich ermittle in diesem Todesfall.«
    »Es wird wohl nicht viel zu ermitteln geben. Messèr Dandolo hat erklärt, der Tote sei Pegno.«
    »Er kann sich an kein Muttermal erinnern, das seine Aussage untermauern würde.«
    »Dann sollten Sie wirklich einen zweiten Zeugen holen.«
    »Was ist mit den anderen Verwandten? Den Eltern des Jungen? Haben die Sie nicht um Rat gefragt?«
    »Vielleicht wurde Enrico Dandolo zum Sprecher der Familie ernannt.«
    »Hat man Ihnen das so mitgeteilt?«
    »Hören Sie, ich kenne den Mann noch nicht viel länger als Sie.«
    »Ich kenne ihn gut genug.« Calendar wandte sich zu Dandolo um und erteilte ihm eine Anweisung. Dandolo hob zum Protest an, aber Calendar ließ sich auf keine Diskussion ein. Einer der Arsenalwächter trabte eilig davon.
    »Sie holen jemanden aus Pegnos Elternhaus«, sagte Michael Manfridus.
    »Dieser Kerl hat ein Herz aus Stein. Soll Pegnos Mutter hier vor allen Leuten versuchen, ihr Kind zu identifizieren, dem die Fische das Gesicht weggefressen haben?«
    »Monna Laudomia wird niemals hierher kommen. Sie ist die Frau eines Patriziers; sie zeigt sich nicht in der Öffentlichkeit, wenn es nicht gerade um einen Kirchenbesuch geht.«
    »Wer soll dann kommen? Ich dachte, Pegnos Vater sei mit dem Schiff unterwegs?«
    »Pegnos jüngerer Bruder, Andrea. Er ist zwölf. Er ist Novize bei den Benediktinern auf San Giorgio Maggiore, aber seit Messèr Fabio verreist ist, hält er sich zu Hause auf. Ich denke, der Wächter hat den Auftrag, ihn zu holen.«
    »Das ist doch keine Sache, die man einem Kind zumutet.«
    Manfridus zuckte mit den Schultern. Mein Ärger auf Calendar wuchs zunehmend. Es gereichte der Serenissima und ihren Beamten zur Ehre, wenn sie bei der Untersuchung eines Unglücksfalles alle Register zogen, doch für meinen Geschmack übertrieb der Polizist. Zumindest hätte er dafür sorgen können, dass die unselige Geschichte mit der Identifizierung des Leichnams in der Abgeschlossenheit des Arsenals geschah und nicht hier vor aller Augen.
    In die Menge geriet Bewegung, als ein Wächter von der Gasse her, die in westlicher Richtung von dem kleinen Platz wegführte, um die Ecke bog.
    In seiner Begleitung befanden sich zwei Jungen, die ebenso zerlumpt waren wie der, der mir die Börse hatte stehlen wollen. Der Wächter rief Calendar etwas zu. Die Jungen stolzierten mit so deutlich zur Schau getragener Gelassenheit neben ihm her, dass man ihre Furcht und Aufregung in jeder Geste erkennen konnte.
    »Das ist ja verrückt«, staunte Manfridus. »Die beiden haben sich als Zeugen gemeldet.«
    Tatsächlich hätten sie die Brüder des Jungen sein können, der mich zu bestehlen versucht hatte. In ihrem Elend und Schmutz glichen sie ihm beinahe bis aufs Haar. Das Einzige, was sie unterschied, war, dass einer der beiden statt eines Hemdes einen ledernen Brustpanzer trug, der an seinem dürren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher