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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco
Autoren: Richard Dübell
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wieder, doch nicht nur das, er hatte die gewaltig aufgeblähten Schilderungen von der Verschwörung gegen Lorenzo de’ Medici und Janas und meiner Rolle darin gehört und wähnte sich nun in Gegenwart einer bedeutenden Persönlichkeit, als er mir begeistert die Hand schüttelte.
    Ich betrachtete ihn, während wir uns mit Enrico Dandolo durch das Gedränge schoben. Manfridus war ein Mann von gedrungener Statur, mit gewelltem Haar – dessen Ergrauen er mit den kosmetischen Färbetricks der Frauen eher erfolglos bekämpfte –, mit einem offenen Gesicht, unruhigen Händen und einem leicht hinkenden Gang durch eine lang verheilte Verletzung, und ich fragte mich einen Moment, ob wir nicht besser daran getan hätten, im Fondaco dei Tedeschi um Logis zu bitten.
    Ich war undankbar. Clara Manfridus, die aus Mailand stammende Frau des Herbergswirts, hatte sich Janas sofort in einer rührenden Art und Weise angenommen und ließ sie kaum einen Moment aus den Augen. Julia, Janas Zofe, war am Vortag unaufhörlich mit geröteten Wangen und aufgelöstem Haar zwischen der Küche und dem leer stehenden Speicherraum unter dem Dach hin und her gelaufen, in dem Manfridus Jana, Julia und mich untergebracht hatte. Julia hatte Besorgungen erledigt, die Clara Manfridus ihr zum Wohle Janas aufgetragen hatte, Tränke und Suppen nach ihren Rezepten zubereitet und kaum Zeit gefunden, auch nur für wenige Augenblicke auszuruhen. Im Fondaco wäre uns keine auch nur annähernd so beflissene Hilfe zuteil geworden.
    Dandolo stieß mit einer Dienstmagd zusammen, die mit einem Korb weißer Laken um eine der abrupt auftauchenden Ecken trat und einer Gruppe sich angeregt unterhaltender Patrizier in dieselbe Richtung auswich wie Dandolo. Ich hörte, wie er sich wortreich entschuldigte und sich scheinbar anschickte, die verstreuten Laken aufheben zu helfen, bevor er weitereilte. Wir umrundeten die Frau, die mit wütendem Gefuchtel die anderen Passanten davon abzuhalten versuchte, in der engen Gasse über die Tücher zu laufen. Die meisten bemühten sich, rücksichtsvoll an ihr vorbeizugehen, doch es gab Fehltritte, und die aufgebrachte Dienstmagd kommentierte jeden von ihnen mit wütendem Schimpfen. In Sekundenschnelle entstand ein Auflauf, der den schmalen Durchlass vollends verstopfte. Dandolo drängelte sich weiter vorn mit neuerlichen Entschuldigungen durch ein Häuflein Männer, die stehen geblieben waren, um den Vorfall zu beobachten, und warf uns einen ungeduldigen Blick zu. Ich sah die Spitze des Campanile, der sich gegenüber dem Palazzo Ducale auf dem Markusplatz erhob, vor uns über die Dächer ragen.
    »Wir gehen doch zum Markusplatz. Warum nehmen wir nicht eine der Hauptgassen?«, fragte ich Manfridus. »Wir kämen zweimal so schnell voran.«
    »Das ist die Salizzada San Lio, die Hauptverbindung von der Rialto-Brücke zum Markusplatz.«
    Wir wandten uns scharf nach Osten, bevor wir den großen Platz erreichten, in ein weiteres Gewirr von Gassen, Gässchen und kleinen Brücken, in dem die Betriebsamkeit etwas nachließ. Dandolo führte uns durch Seitengassen, die so eng waren, dass man die Hauswände mit ausgestreckten Armen hätte berühren können – zuweilen sogar mit ausgestreckten Ellbogen. Sie waren kühl und so dunkel, dass einzig die Wasserlachen, die den Himmel hinter den hoch aufragenden Hauswänden widerspiegelten, sie ein wenig erhellten. Wir kamen auf einem der kleineren Plätze heraus, die man hier campo nannte, auf dem sich ein vollkommen eingerüsteter Bau erhob. Jemand ließ ein bereits vorhandenes Gebäude erneuern. Das Holz des Gerüsts war grau und silbern von der Seeluft geworden; der Bau zog sich offenbar schon über viele Jahre hin. Ein kleines Grüppchen von Nonnen schritt davor auf und ab und schien den nicht feststellbaren Baufortschritt zu inspizieren.
    Dandolo führte uns um eine Ecke und dann um eine weitere – Abbiegungen, die man erst bemerkte, wenn der Vordermann abrupt um sie herum verschwand. Bis zu diesem Moment wirkte es, als liefe man in eine Sackgasse hinein, deren Wände, kaltrote Ziegel oder schmutzig grauer Stein, scheinbar zusammenrückten. Plötzlich standen wir auf der breiten gemauerten Uferpromenade, die beim Markusplatz begann und am Kanal von San Marco entlang nach Osten führte. Wir hatten den belebten Markusplatz umgangen, vor dem ein wahrer Wald von Schiffsmasten auf der Mündung des Canàl Grande in den Kanal von San Marco tanzte.
    Nach der Kühle und dem dumpf-feuchten Geruch in den
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