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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco
Autoren: Richard Dübell
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Überlebender; unter ihnen ein junges, apathisches, scheinbar stumm gewordenes Mädchen mit dunkler Haut, das vor der Berührung der Männer keuchend zurückzuckte und schließlich in einem Kloster untergebracht wurde.
    Ich bin sicher, Allah, der Gott der Muselmanen, verzieh einem seiner Kinder, dass es den Rest seines stummen Lebens in einem Kloster des christlichen Gottes verdämmerte.

2
    Vor dem Tag unserer Abreise hatte ich mich noch mit Paolo Calendar auf der Riva degli Schiavoni getroffen, nicht weit von seiner Behausung entfernt. Ich konnte Barberros düstere Kogge im Hintergrund am Kai vertäut sehen, womöglich noch mehr verwahrlost als bisher, ein ungestörtes Heim für die Ratten, bis der Rat der Zehn sich dazu entschließen würde, sie abzuwracken oder umzurüsten, um sie in die Flotte der Lagunenstadt aufzunehmen. Die Morgensonne strahlte auf das Schiff herab, aber auf mich wirkte es so düster wie immer. Zu viel Schlechtes war auf ihm geschehen. Calendar, der um diese Unterredung gebeten hatte, wartete bereits auf mich.
    »Ich habe gehört, Sie wollen die Stadt verlassen«, sagte er statt einer Begrüßung. Er wirkte wie immer, elegant und unnahbar in seiner dunklen Kleidung. Consigliere Barbarigo hatte ihm seine alte Position als Staatsanwalt zurückgegeben; ich wusste nicht, ob es ausschließlich wegen seiner Verdienste um die Aufklärung des Falls Dandolo geschehen oder auch ein wenig Bestechung war: Calendar war so etwas wie ein Held für den Rat der Zehn geworden, und Barbarigo hätte, selbst wenn er gewollt hätte, nichts gegen Calendar unternehmen können, um den Zeugen seines Ausrutschers auf der Feier Chaldenbergens zu beseitigen. So nahm ich an, dass der Zehnerrat solide kaufmännisch dachte und sich den Zeugen lieber zum Freund machte in der Hoffnung, dass Verbündete die Geheimnisse, die sie voneinander wissen, niemals verraten. Calendar hatte die Beförderung nicht abgelehnt. Er war stolz, aber er hatte auch eine Familie zu ernähren, ganz zu schweigen von den qualvollen Erinnerungen an das Jahr auf dem Fischerboot.
    »Morgen«, sagte ich. Er nickte langsam. Eine Mutter mit zwei Kindern stand am Rand des Kais. Sie wandte uns den Rücken zu und schien mit wohlwollender Geduld die Begeisterung der Kinder zu ertragen, die einer ganzen Reihe von Fischern dabei zusahen, wie sie den Fang der letzten Nacht entluden. Der Geruch von eben gefangenem Meeresgetier wehte zu uns herüber. Am Ufer drängten sich die Dienstboten reicher Familien, um die Ware frisch einzukaufen.
    »Leonardo Falier ist zurückgetreten«, sagte Calendar. »Und Marco Barbarigo ist zum Vorsitzenden des Zehnerrats gewählt worden. Man sagt ihm gute Chancen nach, einer der nächsten Dogen zu werden.«
    »Hat Falier Gründe genannt?«
    »Seine Gesundheit.«
    »Was wird mit ihm geschehen?«
    Calendar zuckte leicht mit den Schultern. »Er hat Besitzungen in den Kolonien. Vielleicht wird er sich dorthin zurückziehen.«
    »Sie glauben also, dass er ungestraft davonkommt.«
    »Sein Lebensziel ist zerstört. Er ist gestraft.«
    »Das ist nichts, wenn man es mit dem Leid vergleicht, das er über Pegno, Fiuzetta und andere gebracht hat.«
    »Es kommt auf den Standpunkt an. Wenn Sie lieber seinen Kopf über die Piazzetta hätten rollen sehen, so lassen Sie sich gesagt sein, dass sein letzter Gang zu einem Schauspiel geworden wäre, von dem Venedig noch in hundert Jahren geredet hätte. Wer weiß, ob es nicht einen zweiten Kinderreim gegeben hätte, in dem nicht Baiamonte Tiepolo, sondern Leonardo Falier die Hauptrolle spielt. Sie wissen, wie die Menschen sind. Die meisten Verbrechen werden vergessen, wenn der Schurke ihnen etwas liefert, woraus sie eine Legende stricken können.«
    Ich seufzte unzufrieden.
    »So aber wird Leonardo Falier in der Versenkung verschwinden. In fünf Jahren können sich nur noch die Wenigsten vage an seinen Namen erinnern. In zehn Jahren ist er vergessen. Was wollen Sie wetten, dass er gar nicht mehr so lange leben wird? Er wird in seinem Exil verlöschen wie ein Docht, dem das Öl ausgegangen ist, und er wird seine Zeit in steinerner Verzweiflung verbringen.«
    »Wenn Sie es sagen.«
    Er streckte mir die Hand hin. Ich drückte sie und bemerkte, dass es das erste Mal war, dass wir uns die Hand gaben. Ich hielt sie länger fest als nötig, und er erwiderte den Druck.
    »Passen Sie auf sich auf, Paolo«, sagte ich.
    »Kommen Sie gut nach Hause, Pietro.«
    Ich merkte ihm an, dass er gern mehr gesagt hätte. Er
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