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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut
Autoren: Ulrich Ritzel
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Homiletik) vor sich liegen hat, und kehrt kopfschüttelnd zu dem Text zurück, der unschuldig in runder linksgeneigter Kinderschrift zu ihr hochblickt. Wie viel Punkte? Zum Schuljahresende notiert Birgit aus taktischen Überlegungen zwei Punkte mehr als sonst, ausgenommen bei Bettina, über deren sechs Punkte sich sowieso niemand zu wundern braucht, am wenigsten Bettinen selbst, also gibt es für das schöne Schwedenkind zwölf.
    Birgit ist krankgeschrieben, aber am Mittwoch wird sie kalt lächelnd im Droste erscheinen, Nägel und Zähne geschärft für jeden, der sich mit Anteil nehmender Ranschmeiße zu nähern wagt. Sie trägt die Punktzahl ein und greift sich das nächste Heft. Im Radio klingt das Scarlatti-Konzert aus, es kommen Nachrichten, Birgit schlägt das Heft auf, es gehört Thorsten, in vorauseilender Langeweile muss sie gähnen . . .
     
    . . . Mit Bestürzung hat das baden-württembergische Wissenschaftsministerium auf die Nachricht von der Verhaftung des Freiburger Hochschullehrers Ernst Moritz Schatte reagiert. Wie berichtet, ist Professor Schatte in den frühen Morgenstunden des Sonntags im elsässischen Wissembourg festgenommen worden. Die französischen Sicherheitsbehörden werfen
Schatte vor, an der Planung des Anschlags auf die Gedenkstätte am Lingekopf in den Vogesen beteiligt gewesen zu sein . . .
    Birgit hat aufgehört zu lesen. Sie muss lächeln. Also haben sie ihn doch erwischt. Doch noch. Alles fügt sich.
    Sie blickt zum Fenster, ohne etwas zu sehen, und ihre Gedanken beginnen zu schweifen. Merkwürdiger Mann. War auch hinter ihm her . . .
    Ein Schatten taucht am Fenster auf. Der rote Kater blickt zu ihr herein und miaut tonlos durch die Glasscheibe. Erst jetzt fällt es Birgit auf, wie struppig das Tier ist.
    Kommt nicht in die Tüte. Entschlossen steht sie auf und öffnet die Terrassentür und klatscht in die Hände. Mit einem erschrockenen Satz verschwindet der Kater im Nachbargarten. Wir lassen uns unseren Garten nicht von dir voll scheißen. Und Vögel machst du auch tot. Überhaupt können wir keine Katze im Haus brauchen. Wir werden auf Reisen gehen. Neues entdecken. Spannendes. Abenteuer gar, am Tage und vielleicht auch zur Nacht.
    Die Türklingel im Haus schlägt an.
    Birgit runzelt die Stirn. Hubert? Auf Zehenspitzen kehrt sie ins Haus zurück und geht behutsam zur Türe. Durch den Spion erspäht sie, dass es durchaus nicht Hubert ist.
    Sie atmet tief durch und fährt sich durchs Haar. Sie öffnet. Welches Lächeln? »Ach! Der Treulose . . . Mit Ihnen habe ich schon gar nicht mehr gerechnet.«
    Berndorf verbeugt sich artig. Er ist unrasiert, hat einen tiefen Kratzer im Gesicht und sieht übermüdet aus. Und murmelt etwas, das nach Entschuldigung klingt. »Ohne Vorwarnung, am Sonntagnachmittag . . .«
    »Kommen Sie herein.« Silberhell. »Sie stören überhaupt nicht, denn ich korrigiere gerade unsägliche Klassenarbeiten, da ist mir jede Unterbrechung willkommen, umso mehr, wenn es ein so geheimnisvoller Besuch ist.« Sie führt ihn ins Wohnzimmer, zu spät denkt sie daran, dass es noch etwas kahl wirkt, weil Huberts Buch- und Plattenbestände noch nicht ersetzt sind.

    »Ich mach uns einen Kaffee, ja? Sie sehen aus, als ob sie einen nötig hätten. Auf welchen Straßen haben Sie sich denn diesmal geprügelt?«
    »Danke«, sagt Berndorf. »Keinen Kaffee. Ich möchte Sie bitten, mit mir eine Fahrt zu machen. Es wird der Abschluss sein. Danach ist nichts mehr zu tun.«
    Sie blickt ihn fragend an. Er gibt den Blick zurück, ernsthaft, ruhig.
    »Wir werden das Taxi nehmen. Es steht draußen.«
    Birgit wendet ein, dass sie für einen Ausflug doch gar nicht angezogen ist.
    »Sie müssen sich nicht eigens umziehen.«
    »Sie entführen mich schon wieder.« Birgit versucht ein Lachen. Es kommt ein wenig klirrend. »Aber trotzdem muss ich mir erst die Nase pudern.« Sie enteilt in ihr Zimmer.
    Berndorf betrachtet die Schrankwand, deren Lücken alle weiteren Fragen zu dem Diaristen und Musiklehrer beantworten, von dem er im Mannheimer Morgen gelesen hat. Das heißt, nicht alle. Auf Anhieb würden Berndorf eine oder zwei einfallen, die noch nicht beantwortet sind. Er gähnt, denn er ist wirklich müde. Man schläft nicht so gut in einem Magirus-Deutz von 1962.
    Das Nasepudern dauert. Ob er sich setzen soll? Lieber nicht. Zu schnell fallen Augen zu. Gedanken schweifen. Blau locken die Kuppen der Vogesen. Weit, weit von hier . . .
    Er schreckt hoch. Rohseidenes sommergrünes Kleid, sehr
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