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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut
Autoren: Ulrich Ritzel
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»Das muss die Liste sein, verstehen Sie? Die Liste, nach der mich dieser Professor immer wieder gefragt hat . . .«
    »Von mir aus«, sagt Berndorf. »Übrigens ist das ein veraltetes Telefonbuch. Ich hab nichts dagegen, wenn Sie es mitnehmen. Als Souvenir . . . Zur Türe bitte wieder mit Vorsicht.«
    Grassl kriecht zurück, und in der Linken zieht er das Telefonbuch mit sich.
    »Ich werde jetzt auch gehen«, sagt Berndorf, zu Tamar gewandt. »Lassen Sie mir noch eine halbe Stunde, bevor Sie die Kollegen anrufen, und wenn Sie ein Übriges tun wollen – nageln Sie die Oberförster ein bisschen fest, so lange das Magazin reicht.«
    »Das ist eigentlich zu viel verlangt«, sagt Tamar. »Aber einverstanden. Ich werde es versuchen. Nur – bevor Sie gehen, sagen Sie mir doch, was ich unseren Kollegen erzählen soll? Es ist ja eine Situation, in der Sie nicht ganz unerfahren sind . . .«
    Sehr gut. Sarkasmus ist gar nicht schlecht. »Sie sagen gar nichts«, antwortet Berndorf. »Sie stehen unter Schock. Das tun Sie übrigens wirklich, auch wenn Sie es noch nicht begriffen haben. Sagen Sie zumindest so lange nichts, wie Sie nichts
aus Frankreich gehört haben. Dann klärt sich einiges von selber. Bis dahin haben die Kollegen genug mit dem zu tun, was ihnen Grassl und die verrückte Alte und die beiden Knaben im Stall erzählen werden . . .«
     
    Der Nachmittag geht in den Abend über, aber die dunkle Wolkenfront ist nach Osten gezogen, der Himmel ist von einem gelb unterlegten Grau, für einige Augenblicke herrscht eine trügerische Ruhe, bis wieder die Detonationen losbrechen, mit denen das G 11 seine Salven ausspuckt. Halb von der Fensterlaibung gedeckt, hält Tamar in das Laubgehölz zwischen zweiter und dritter Kastanie, die Kugeln zerfetzen Ast und Gezweig, dann robbt sie zur anderen Fensterseite, wartet, ob das Feuer erwidert wird . . .
    Es kommt nichts. Schweigen im Walde.
    Die sind weg, denkt Tamar. Kein Wunder. Natürlich kennen die den Franzosensteig. Haben lang genug hier herumgelungert. Ich muss ihnen den Weg abschneiden.
    Sie kauert sich nieder und tauscht das Magazin aus. Dann läuft sie gebückt zur Türe und setzt mit langen Sprüngen die Treppe hinunter.
    »Wohin rennen Sie denn?«, ruft es erschreckt hinter ihr. Tamar wirft einen Blick zurück, blass und mit fiebrig erregten Wangen steht Margarethe Zundt in der Küchentür. »Hören Sie nicht – dort wird geschossen«, sagt sie, »so kommen Sie doch zu mir, helfen Sie mir, sagen Sie mir, was hier geschieht, es ist mein Haus, warum geschehen so schreckliche Dinge darin. . .« Tamar steht inzwischen an der Eingangstür und späht zum Wald hinüber. Alles scheint ruhig.
    »Es sind die Geister, die Sie im Haus haben, Frau Zundt«, sagt sie, ohne lang zu überlegen, »die Geister, die Sie längst hätten vertreiben sollen.« Dann nimmt sie das Gewehr in beide Hände und läuft geduckt zu der zweiten Kastanie, hinter deren Stamm sie fürs Erste gedeckt ist.
    Gut 300 Meter nordöstlich des Laubgehölzes ist eine eingezäunte Fichtenschonung, dahinter erhebt sich der Waldsaum.
    Wer ungesehen vom Gehölz zum Franzosensteig will, denkt Tamar, wird hinter der Schonung gehen. Sie nimmt das Gewehr und deckt das nördliche Ende der Schonung mit einem Kugelhagel ein.
     
    Mit ruhigen Schritten geht auf der anderen Seite des Hauses Jonas Seifert durch die Dämmerung und führt Ernst Moritz Schatte an dessen unverletztem Arm. Gleichmütig folgt ihnen Felix. Berndorf geht als Letzter. Er hat Schattes Pistole, aber er hat sie in den Hosenbund gesteckt. Wenn die Oberförster mit ihren Maschinenwaffen ihnen den Weg abschneiden . . . Aber eigentlich will er gar nicht denken, was dann sein wird. Tamar wird sie aufhalten.
    Dunkel baut sich vor ihnen der Wald auf. Vom Haus her hören sie das Feuer der Heckler & Koch. Jonas Seifert geht schneller. Hinter ihnen bricht das Hämmern ab. Der Prophet bleibt unter einer Buche stehen und lässt Schattes Arm los. Felix verschwindet witternd im Schatten des Waldes. Dann erreicht auch Berndorf den Waldsaum.
    »Das gefällt mir nicht«, sagt der Prophet und deutet nach oben. Berndorf hat nicht auf die Geste geachtet und versteht nicht. »Sie haben uns den Weg abgeschnitten?«, fragt er und tastet nach der Pistole.
    »Nein«, kommt die Antwort, »der Hund hätte sonst Laut gegeben. Aber der Sturm kommt. Wir müssen hier raus.« Er wendet sich an Schatte. »Bleiben Sie dicht hinter mir.«
    Rasch durchquert Seifert den düsteren
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