Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale
Autoren: Charles Palliser
Vom Netzwerk:
geschrieben und gefragt, ob es möglich sei, daß ich in Abänderung unserer Vereinbarung schon früher käme, und er hatte geantwortet, daß er sich sehr freuen würde. Was mich dazu bewogen hatte, meinen Besuch vorzuverlegen, war folgendes: Als ich Austins Einladung erhielt, war mir eingefallen, daß sich in der Bibliothek meines Colleges die unkatalogisierten Papiere eines Sammlers alter Urkunden namens Pepperdine befanden, der die Stadt kurz nach der Restauration besucht hatte, und so hatte ich beschlossen, diese durchzusehen. Dabei war ich auf einen Brief gestoßen, der, wie ich Austin erklärt hatte, die Möglichkeit eröffnete, daß ein lang andauernder Gelehrtenstreit über die von mir so geliebte Zeit des Königs Alfred durch die Entdeckung eines gewissen Dokuments in der Bibliothek des Domkapitels von Thurchester beigelegt werden könnte. Ich hatte es so eilig, mit meinen Recherchen zu beginnen, daß ich meine Pläne geändert und beschlossen hatte, Austin schon auf dem Hinweg nach Exeter zu besuchen und nicht erst auf dem Rückweg im neuen Jahr.
    »Nach deiner langen Reise«, fuhr er fort, »habe ich mir gedacht, daß wir zu Hause bleiben und ich für uns beide ein Abendessen zubereite.«
    »Wie in alten Zeiten!« rief ich aus. »Erinnerst du dich noch? Als wir in der Sidney Street wohnten, haben wir Koteletts gegrillt, mal der eine, mal der andere.« Die Erinnerungen überfluteten mich, und meine Blicke verschleierten sich.
    Austin nickte. »Erinnerst du dich an deine ›Koteletts St. Lawrence‹, wie du sie nanntest? Ganz verkohlt wie der arme Heilige? Du nanntest deine Gerichte ein Autodafe, denn du meintest, daß mehr Glaube dazu gehörte, sie zu essen, als die unglücklichen Opfer der Inquisition je nötig hatten.«
    Er lächelte, aber offenbar mehr über meine Nostalgie als über die Erinnerungen, die ich heraufbeschworen hatte. »Ich habe Lammkoteletts mit Kapern vorbereitet. In den Jahren, die inzwischen vergangen sind, habe ich genug Übung bekommen, um dir versprechen zu können, daß es kein Martyrium sein wird, sie zu essen.«
    Es war ein seltsamer Gedanke, daß Austin seinen Haushalt allein führte. Ich dachte daran, wie schlampig er immer gewesen war – der Boden seiner Zimmer im College war immer voller Krümel gewesen, seine Kleidung hatte sich auf einem Stuhl getürmt, Tassen und Teller waren nur selten gespült worden. Der Raum, in dem ich mich jetzt befand, war nicht viel ordentlicher.
    »Ich zeige dir dein Zimmer«, sagte Austin plötzlich. »Ich nehme an, daß du dich waschen möchtest, während ich das Essen zubereite.«
    »Bleibt mir noch Zeit, einen Blick auf die Kathedrale zu werfen? Nach dem langen Tag im Zug will ich mir ein wenig die Beine vertreten.«
    »Das Abendessen ist erst in einer halben Stunde fertig.«
    »Ist die Kirche jetzt nicht abgesperrt?«
    »Heute nicht.«
    »Gut. Ich freue mich darauf, den Kreuzgang zu sehen.«
    Austin schien überrascht, fast erschrocken. »Ich dachte, du wärst noch nie hier gewesen?«
    »Aber mein lieber Freund, ich kenne die Kathedrale sehr genau aus schriftlichen Beschreibungen und Abbildungen. Sie hat einen der schönsten Kreuzgänge in ganz England.«
    »Wirklich?« fragte er geistesabwesend. »Sie ist insgesamt ein bemerkenswertes Bauwerk und fast vollständig erhalten.« Dann fiel mir ein, was ich bei meiner Ankunft gesehen hatte und wie wenig informativ die Antwort des Droschkenkutschers auf meine Frage ausgefallen war. »Aber jetzt wird wohl gerade daran gearbeitet?« wollte ich deshalb wissen.
    Er lächelte. »Oh, da bist du auf den großen Streitpunkt gestoßen, der diese Stadt momentan heftiger entzweit als irgend etwas sonst in ihrer Geschichte.«
    »Jedenfalls seit der Belagerung.« Ich lachte. »Die darfst du nicht vergessen!«
    »Es wird tatsächlich daran gearbeitet, und das ist auch der Grund, warum du so spät am Abend noch hinein kannst.«
    »Was wird denn gemacht? Doch nicht etwa eine von diesen sogenannten Renovierungsarbeiten?«
    »Sie arbeiten nur an der Orgel.«
    »Auch damit läßt sich beträchtlicher Schaden anrichten.«
    »Das ist unwahrscheinlich. Es wird die Orgel ungeheuer verbessern. Sie stellen die Orgel auf Dampfbetrieb um, und die Manuale werden von der alten Empore auf eine neue Galerie gebracht.«
    Ich konnte nicht umhin, den Kopf unwillig zu schütteln. »Vollkommen überflüssig; deshalb klingt sie auch nicht schöner.«
    »Im Gegenteil. Sie wird auf wohltemperierte Stimmung umgestellt und insgesamt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher