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Die schwarze Hand des Todes

Titel: Die schwarze Hand des Todes
Autoren: Stephen Booth
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zum Hammond Tower mit dem Rad eine regelrechte Spur ausgefahren hatte. Ganz egal, wo sie sich gerade befand, immer hatte sie die Aussicht vom Turm hinunter ins Tal vor Augen – den schroffen Steilhang zwischen den Bäumen mit den Felsbrocken am Grunde.
    Es war ein windiger Tag, böige Schauer rüttelten an den Birken und wehten die abgestorbenen Blätter ins Heidekraut. Menschen waren keine unterwegs. Nur am Ende des Weges war Jenny ein junger Mann mit auffallend stark ausgeprägten Segelohren entgegengekommen. Er trug eine rote Wollmütze, die er weit in die Stirn gezogen hatte, und marschierte zügig in Richtung Straße, den Kopf tief gesenkt, um ihren Blick nicht erwidern zu müssen. Jenny hatte kräftiger in die Pedale getreten, um ihn so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Prompt war sie die Steigung etwas zu forsch angegangen und hatte anhalten müssen, um zu verschnaufen. Japsend blickte sie sich um. Der Junge war verschwunden, und auch sonst war weit und breit keine Menschenseele zu sehen – nur vor der steilen Wand eines aufgelassenen Steinbruchs kreisten ein paar Dohlen, und auf einer Weide unterhalb der Jungfrauen lag eine Herde Kühe unruhig im Gras.
    Jenny hatte sich auf dem Fahrrad schon immer sicherer gefühlt als zu Fuß. Im Notfall konnte sie sich damit rasch aus dem Staub machen, falls die Situation brenzlig wurde. Und als Frau konnte man in dieser gottverlassenen Gegend gar nicht vorsichtig genug sein.
    Auf dem letzten steilen Wegstück hinauf ins Moor musste Jenny das Kokomo schieben. Als sie den bizarren Heart Stone erreichte, einen vier Meter hohen Felsen mit eisernen Hand- und Fußgriffen, wusste sie, dass sie es fast geschafft hatte.
    Oben auf dem sandigen Pfad konnte man wieder Rad fahren, solange man aufpasste, dass man nicht auf die nackten Steine geriet, die in der Mitte aus der Erde ragten. Der Weg schlängelte sich über eine mit dunklem Heidekraut und Blaubeerbüschen bewachsene Hochebene. Wo sie nach Süden hin abfiel, standen vereinzelte Rhododendronsträucher. Auf zwei Seiten wurde sie von alten Steinbrüchen begrenzt, auf den beiden anderen ging es über zerklüftete Steilabbrüche tief hinunter ins Tal.
    Wo sich die Hauptrouten kreuzten, stand ein Wegweiser, der mit einem gelben Pfeil die Richtung zu den Neun Jungfrauen anzeigte. Rings um das Schild war die Erde von zahllosen Füßen regelrecht festgestampft. Aus dem Tal hallte der lang gezogene Schrei eines Pfaus herauf und erstarb im Wind.
    Als Jenny die Jungfrauen erreichte, stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Ihre Radlerhose war eine Spur zu eng, die Beine gerötet vor Anstrengung und von. dem rauen Wind.
    Wind und Kälte störten sie nicht, und auch die Anstrengung machte ihr nichts aus. Hier oben im Moor halfen sie ihr sogar, die dunklen, bösen Gedanken, die sie für den Rest der Woche plagen würden, für eine Weile fortzublasen. Das gelang ihr sonst nirgends; auf jeden Fall nicht in Sheffield, wo die überfüllten Straßen und der Verkehr ihre Ängste nur noch mehr anfachten.
    Wegen des Wetters verirrten sich Anfang November kaum noch Menschen ins Moor. Aber heute war Jenny nicht ganz allein. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, saß jemand neben dem Steinkreis und spielte auf einer Flöte eine Melodie, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Sie konnte den Flötenspieler nicht deutlich erkennen, sah nur sein langes blondes Haar und seinen bunten Pullover.
    Jenny wandte sich von den Neun Jungfrauen ab und hielt auf einen sandig ausgewaschenen Weg zu, der sich im Winter in ein Bachbett verwandelte. Er führte in eine Senke mit dichtem Adlerfarn. Stellenweise traten die Baumwurzeln hervor und bildeten an den steilsten Stellen holprige Stufen. Bucheckern knackten unter den Reifen, die mannshohen Farnwedel raschelten in den Speichen. Sie bedrängten sie und griffen wie braune, tote Hände nach ihren Beinen.
    Am oberen Rand der Senke erhob sich der Hammond Tower. Er zeichnete sich deutlich vor dem Himmel ab, hoch und grau, ein steinernes Monument ohne konkreten Zweck. Ein paar rau in den Stein geschlagene Stufen führten zu dem zugemauerten Eingang. Dahinter war das Hochmoor zu Ende, und es ging steil hinab nach Ringham Edge. In einer breiten Höhlung zwischen dem Turm und den so genannten Katzensteinen hatte sich abgefallenes Laub gesammelt.
    Jenny setzte sich ein Weilchen auf ein geborstenes Sims am Fuß des Turms, starrte ins Tal hinunter und wartete, dass sie wieder zu Atem kam. Allmählich kroch ihr die Kälte in
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