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Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Titel: Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Autoren: Håkan Nesser
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Autos und Geschäften und keinem einzigen Baum.
    Ich bin sechzehn Jahre alt, überlegte sie. Das Gymnasium dauert noch drei Jahre, dann ziehe ich hier aus. Dann würde sie es allein schaffen.
    Wieder meldete sich das schlechte Gewissen, und sie blieb eine Weile am Telefon stehen, bis die Gewissensbisse abebbten. Schaute über den Rand der Gardine aus dem Fenster und betrachtete die haargenau gleiche schmutzigbraune Fassade auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die schmalen dunklen Fenster, die elf von zwölf Stunden im Schatten lagen, selbst an einem ziemlich sonnigen Tag wie heute.
    Die Menschen können einem Leid tun, dachte sie plötzlich. Nicht nur Mama und ich, sondern alle zusammen. Jeder Einzelne. Aber es wurde nichts besser durch diese Einsicht.
    Es gefiel ihr, derartige kleine philosophische Gedanken über das Leben zu formulieren. Sie schrieb sie nicht nieder, behielt sie nur eine Weile im Kopf und dachte darüber nach. Vielleicht, dass sie dadurch eine Art Gemeinsamkeit mit anderen herstellen konnte. Eine Art finsteres Zusammengehörigkeitsgefühl.
    Dass sie doch nicht so anders war, trotz allem. Dass das Leben eben so aussah.
    Dass ihre Mutter genau wie die Mütter anderer sechzehnjähriger Mädchen war und die Einsamkeit für alle und jeden gleich groß.
    Und natürlich konnte ihre Mutter irgendwann einmal gesund werden – auch wenn diese dicke Psychologenfrau kaum so tat, als würde sie an eine derartige Entwicklung glauben. Eher versuchte man, die Entwicklung mit Hilfe von Medikamenten im Griff und unter Kontrolle zu halten. Besser, sich nicht zu viel zu erhoffen. Besser, nur maßvoll zu leben.
    Manisch-depressiv.
So hieß es. Und von
verantwortungsbewusster
Medikamentierung hatte sie gesprochen.
    Monica Kammerle seufzte. Zuckte mit den Schultern und zog das Kochrezept aus dem Ordner.
    Hähnchen in Orange mit Reis und Brokkolisoße.
    Die Hähnchenteile waren bereits eingekauft und lagen im Kühlschrank. Den Rest musste sie noch bei Rijkman’s besorgen. Reis, Gewürze, Apfelsinen, Salat. Eissorbet als Dessert… Sie hatte alles aufgeschrieben, und ihre Mutter hatte sie gezwungen, ihr die ganze Liste noch einmal am Telefon vorzulesen.
    Manisch, dachte sie. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich auf dem Weg in die manische Phase befand. Deshalb hatte sie wahrscheinlich auch den Zug verpasst. War am Grab in Herzenhoeg gewesen und dort zu lange geblieben, es war nicht das erste Mal.
    Aber die Verspätung und die Menüfrage waren kein Problem. Nicht für ihre Mutter, oh nein, es gab so gut wie kein Problem für sie, wenn sie sich in dieser Phase befand. Eine kurze, aufbrausende Phase, sie dauerte selten länger als ein paar Wochen. Es gab so gut wie keine Grenzen, für nichts sozusagen.
    Und ihre Medikamente lagen sicher daheim im Badezimmerschrank. Wie üblich. Monica musste das nicht einmal überprüfen, um es zu wissen.
    Wäre es nicht besser, das Essen abzusagen?, hatte sie vorsichtig vorgeschlagen. Er wollte schließlich um acht Uhr kommen, dann hätte er doch keine Lust, bis halb zwölf auf sie zu warten.
    Aber ihre Mutter erklärte, dass er das doch hatte, das waren Dinge, von denen sich eine naive Sechzehnjährige keinen Begriff machte. Sie hatte alles schon mit ihm besprochen, als er sie von seinem Handy aus anrief. Könnte sie bitte zusehen, eine gute Tochter zu sein, und tun, worum ihre Mutter sie bat?
    Monica riss den Notizzettel vom Block und holte sich Geld aus der Haushaltskasse. Sah, dass es schon halb sechs war, und wusste, dass sie sich beeilen musste, wenn sie den Liebhaber ihrer Mutter nicht enttäuschen wollte.
    Liebhaber?, dachte sie, während sie ihren Einkaufswagen zwischen den Regalen entlangschob und versuchte, alles zu finden. Das Wort gefiel ihr nicht, aber ihre Mutter nannte ihn so.
    Mein Liebhaber.
    Monica gefiel der Mann besser als die Bezeichnung. Sehr viel besser. Endlich einmal.
    Wenn es dieses Mal doch klappen würde, fantasierte sie. Wenn es wahr würde und die beiden beschlössen, es wirklich miteinander zu versuchen.
    Aber das erschien ihr äußerst unwahrscheinlich. Soweit sie wusste, hatten die beiden sich erst ein paar Mal gesehen, und die meisten sprangen nach dem dritten oder vierten Treffen ab.
    Dennoch erlaubte sie sich die kindliche Hoffnung, dass er bei ihnen bleiben könnte, und sie versuchte, sich sein Bild vor ihrem inneren Auge zu vergegenwärtigen. Ziemlich groß und kräftig. Wahrscheinlich so um die Vierzig. Mit grau melierten Schläfen und
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