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Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Titel: Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Autoren: Håkan Nesser
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packt seine Handgelenke, ihre dünnen Finger umklammern sie, bis ihre Knöchel weiß hervortreten, aber er ist der Stärkere. Der unendlich viel Stärkere. Das Motorrad knattert weiter das schmale Asphaltband zwischen den Olivenhainen entlang, ist offenbar vom Hauptweg abgebogen. Er drückt noch fester zu, der Ton in seinem Kopf hält an und die Erektion auch.
    Es dauert nicht länger als vierzig, fünfzig Sekunden, aber der Augenblick erscheint lang. Er denkt an nichts Spezielles, und als ihr Körper schließlich erschlafft, wechselt er seinen Griff, hält aber den Druck aufrecht, geht in die Knie und beugt sich von hinten über sie. Ihre Augen stehen weit offen, die Ränder der Kontaktlinsen sind deutlich erkennbar, die Zunge ragt ein wenig zwischen den ebenmäßigen weißen Zähnen hervor. Er überlegt kurz, was er denn mit dem Geschenk machen soll, das er für sie zum Geburtstag gekauft hat. Die afrikanische Holzfigur, die er am Vormittag auf dem Markt von Argostoli erstanden hat. Eine Antilope im Sprung. Vielleicht kann er sie ja behalten.
    Vielleicht wird er sie auch wegwerfen.
    Er überlegt, wie er die restlichen Tage verbringen wird, während er langsam seinen Griff lockert und sich aufrichtet. Ihr kurzes Kleid ist hochgerutscht und gibt den Blick auf den winzigen weißen Slip frei. Er betrachtet ihr dunkles Dreieck, das durch die dünne Baumwolle hindurchschimmert, und streicht über sein steinhartes Glied.
    Steht auf. Geht zur Toilette und onaniert. Soweit er überhaupt etwas empfinden kann, ist es ein sonderbares Gefühl.
    Sonderbar und ein wenig leer.
    Während er auf den rechten Moment wartet, liegt er im Dunkeln auf dem Hotelbett und raucht.
    Raucht und denkt an seine Mutter. An ihre unleugbare Sanftheit und dieses eigentümliche Vakuum von Freiheit, das sie hinterlassen hat.
Seine
Freiheit. Seit ihrem Tod im Winter gibt es plötzlich nicht mehr ihren Blick in seinem Rücken. Niemand sieht ihn mehr ganz und gar, niemand ruft einmal die Woche an, um sich zu erkundigen, wie es ihm geht.
    Niemand, dem eine Ansichtskarte geschrieben werden muss, und niemand, dem er Rechenschaft ablegen kann.
    Wäre sie noch am Leben, wäre diese Tat kaum denkbar gewesen, dessen ist er sich vollkommen sicher. Nicht in dieser Art. Aber nachdem die Blutsbande zerschnitten sind, ist vieles einfacher geworden. Im Guten wie im Bösen, so ist es nun einmal.
    Einfacher, aber auch ein wenig sinnloser. Es gibt keine richtige Schwere mehr in ihm, keinen Kern – immer wieder sind ihm diese Gedanken in dem vergangenen halben Jahr gekommen. Mehrere Male. Plötzlich hat das Leben seine Dichte verloren. Und jetzt liegt er auf einem Hotelbett auf einer griechischen Insel und raucht und sieht ihr sanftes und gleichzeitig strenges Gesicht vor sich, während seine Ehefrau tot auf dem Balkon liegt und erkaltet. Er hat sie an die Wand gelehnt und eine Decke über sie gelegt, und er ist sich nicht sicher, ob seine Mutter nicht auf irgendeine unergründliche Weise – in irgendeinem verflucht unerforschten Sinne – weiß, was sich an diesem Abend hier ereignet hat. Trotz allem.
    Es irritiert ihn ein wenig, dass er diese Frage nicht für sich beantworten kann – und auch nicht sagen kann, wie sie sich zu dem, was er an diesem warmen Mittelmeerabend gemacht hat, stellen würde –, und nach der zehnten oder auch elften Zigarette steht er auf.
    Es ist erst halb eins. In den Bars und Discotheken herrscht immer noch Hochbetrieb, es ist gar nicht daran zu denken, den Körper jetzt schon fortzuschaffen. Noch lange nicht. Er tritt auf den Balkon und bleibt dort eine Weile mit den Händen auf dem Geländer stehen, während er überlegt, wie er es anstellen soll. Es ist keine einfache Aufgabe, einen Körper unbemerkt aus dem Hotel zu schaffen – sei es auch noch so klein und abgelegen, sei es auch ganz dunkel –, aber er ist es gewohnt, schwere Aufgaben anzupacken. Oft können sie ihn sogar stimulieren, ihm ein leicht berauschtes Lebensgefühl bereiten und diese verlorene Dichte wieder holen. Sicher hat er es auch deshalb in seinem Beruf so weit gebracht. Er hat schon früher darüber nachgedacht, in einer Art immer wiederkehrender Reflexion. Die Herausforderung. Das Spiel. Die Dichte.
    Er saugt den Duft des Olivenhains bewusst mit den Nasenflügeln ein, versucht die Olivenbäume wahrzunehmen, als wären sie die ersten – oder die ältesten – der Welt, aber es nützt nichts. Ihre letzten Worte stehen im Weg, und die Zigaretten haben seinen
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