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Die Schule der Robinsons

Die Schule der Robinsons

Titel: Die Schule der Robinsons
Autoren: Jules Verne
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Art«, wie man oft sagt, auf jeden Fall reizend, eine Blondine von sechzehn Jahren, mit dem Gedankengang einer Brünetten, was man aus dem Krystalle ihrer dunkelblauen Augen leicht herauslas. Wir können nicht umhin, sie mit einer Lilie zu vergleichen, obwohl dieses Bild unabänderlich in der besseren Gesellschaft gebraucht wird, um amerikanische Schönheiten zu bezeichnen. Es war also eine Lilie, da es doch nicht anders geht, aber eine Lilie, die auf solidem, nicht leicht schwankendem Stengel prangte. Unzweifelhaft besaß sie warmes Gefühl, diese junge Miß, daneben aber auch viel praktischen Verstand, ein gewisses Selbstbewußtsein, und endlich ließ sie sich nicht mehr als nöthig von den Illusionen und Träumereien bezaubern, welche ihrem Geschlechte und Lebensalter sonst eigen sind.
     

    Sie begleiteten ihn nach der Montgomery-Street. (S. 22.)
     
    Träume – wie schön, wenn man schläft, nicht wenn man wach ist. Und sie – sie schlief weder in dieser Minute, noch dachte sie überhaupt daran, zu schlafen.
    »Godfrey? nahm sie wieder das Wort.
    – Phina? erwiderte der junge Mann.
    – Wo bist Du jetzt?
    – Bei Dir… in diesem Salon…
    – Nein, nicht bei mir, Godfrey, nicht in diesem Salon!… Aber weit, weit von hier… jenseits der Meere, nicht wahr?«
    Ganz mechanisch verirrte sich Phina’s Hand, die Tasten suchend, in eine Reihe verminderter Septimen, deren trauriger Klang laut genug sprach, den aber der Neffe William W. Kolderup’s doch am Ende nicht verstand.
    Denn das war dieser junge Mann, derart das Band der Verwandtschaft, welches ihn mit dem reichen Herrn des Hauses verknüpfte. Der Sohn einer Schwester dieses Inselkäufers und seit vielen Jahren elternlos, war Godfrey Morgan wie Phina auferzogen in dem Hause seines Onkels, dem das nie aussetzende Geschäftsfieber keine Zeit gelassen hatte, an’s Heiraten zu denken.
    Godfrey zählte jetzt zweiundzwanzig Jahre. Nach Vollendung seiner Erziehung war er eigentlich völlig müßig gegangen. Das Leben bot ihm nach allen Seiten Wege, sein Glück zu machen; ob er einen solchen nach rechts oder links wählte – ihm kam es darauf wenig an, denn der Erfolg konnte ihm in keinem Falle fehlen.
     

    »Wo bist Du jetzt?« (S. 24.)
     
    Uebrigens war Godfrey eine hübsche Persönlichkeit von vornehmer Eleganz, der niemals seine Cravate durch einen Ring gezwängt und weder seine Finger, noch die Manschetten oder den Brustlatz mit jenen Juwelenphantasien bepflastert hatte, welche seine Landsleute so besonders lieben.
    Es wird Niemand darob erstaunen, wenn wir es aussprechen, daß Godfrey Morgan Phina Hollaney heiraten sollte. Hätte es überhaupt anders sein können? Alle Verhältnisse wiesen ja darauf hin. Uebrigens wollte William W. Kolderup diese Verbindung; er sicherte damit das Glück zweier Wesen, die er über Alles liebte, ohne zu rechnen, daß Phina dem Godfrey gefiel und daß Godfrey auch Phina nicht mißfiel. Die gute finanzielle Stellung des Hauses unterstützte ebenfalls diese Heirat. Seit ihrer Kindheit war ein Conto dem jungen Mann, ein anderes dem jungen Mädchen eröffnet worden; es bedurfte also nur einer Uebertragung, um das neue Conto für beide Gatten in schönster Ordnung zu haben. Der würdige Speculant hoffte, daß sich die Sache so am leichtesten abwickeln ließe und – von etwaigen Irrthümern und Fehlern abgesehen – Alles bestens stimmen müsse.
    Aber einen Irrthum, ein Versehen hatte er, wie wir sofort sehen werden, doch außer Rechnung gelassen.
    Einen Irrthum, weil sich Godfrey selbst zum Heiraten noch gar nicht reif genug fühlte; ein Versehen, weil man unterlassen hatte, ihn rechtzeitig auf diese Eventualität vorzubereiten.
    In der That empfand Godfrey nach Beendigung seiner Studien einen vorzeitigen Ueberdruß an der Welt und dem Leben, wo es ihm an nichts fehlen, wo er nichts zu wünschen, nichts zu thun haben würde. Da packte ihn der Gedanke, die Erde zu durchmessen, er hatte seiner Meinung nach Alles gelernt, nur das Reisen noch nicht. Von der Alten und von der Neuen Welt kannte er wirklich nur einen Punkt, San Francisco, wo er geboren war und das er, außer im Traume, noch niemals verlassen hatte. Was ist aber ein junger Mann werth, der nicht zwei-oder dreimal um die Erde gekommen – vorzüglich, wenn er Amerikaner ist? Wozu kann er sich in der Folge eignen? Weiß er im Voraus, ob er im Stande sein möchte, jeder schwierigen Lage gerecht zu werden, in welche ihn eine weit ausgedehnte Reise versetzen könnte? Wenn er
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