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Die Schule der Robinsons

Die Schule der Robinsons

Titel: Die Schule der Robinsons
Autoren: Jules Verne
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nicht ein Leben voller Abenteuer gekostet, wie wird er solchen die Spitze bieten lernen? Gehören denn nicht so ein paar Tausend Meilen Fahrt über die Erde, um zu sehen, zu beobachten und zu lernen, zur Vollendung der Ausbildung eines jungen Mannes?
    Das Unabwendbare war auch hier eingetroffen: Godfrey hatte sich in die Lectüre der in unseren Tagen überreichen Reisewerke versenkt und davon begeistern lassen; er hatte mit Marco Polo das Himmlische Reich, mit Columbus Amerika, mit Cook den Stillen Ocean, mit Dumont d’ Urville die Umgebung des Südpols entdeckt, hatte die Idee genährt, dahin zu gehen, wo jene berühmten Reisenden ohne ihn gewesen waren. Wahrlich, er hätte eine Forschungsreise von einigen Jahren mit verschiedenen Ueberfällen malayischer Piraten, mit einigen Zusammenstößen auf See, einem Schiffbruche an öder Küste, und hätte er dort das Leben eines Selkirk oder eines Robinson Crusoe führen müssen, nicht für zu theuer erkauft gehalten. Ein Robinson! Ein Robinson zu werden! Welche kindliche Phantasie hat davon nicht einmal geträumt, ganz wie Godfrey, der gar oft, viel zu oft die Abenteuer der erdichteten Helden von Daniel de Foë und von Wiß gelesen hatte?
    Auf diesem Standpunkte war der Neffe William W. Kolderup’s angelangt, eben als sein Onkel damit umging, ihn in die Fesseln des Ehestandes zu schmieden. Mit Phina zu reisen, wenn sie schon Mistreß Godfrey Morgan geworden war, davon konnte keine Rede sein! Er mußte das allein oder gar nicht unternehmen. Mußte Godfrey, wenn er seine Phantasie befriedigt, nicht weit besser vorbereitet sein, einen Ehecontract zu unterzeichnen? Kann man überhaupt das Glück eines weiblichen Wesens gewährleisten, wenn man vorher nicht wenigstens in China und Japan, ja nicht einmal in Europa gewesen ist? Nein ganz gewiß nicht!
    Ein derartiger Gedankengang war die Ursache, daß Godfrey jetzt in Gesellschaft der Miß Phina so zerstreut erschien, so theilnahmlos, wenn sie sprach, so stumm, wenn sie Lieder spielte, die ihn früher zu entzücken pflegten.
    Phina, ein ernstes und überlegendes Mädchen, hatte das recht wohl bemerkt. Wollten wir behaupten, daß sie darüber nicht etwas Verdruß, gemischt mit ein wenig Kummer, empfunden hätte, so würden wir sie freilich verleumden. Bei der Gewohnheit aber, die Sachen von ihrer positiven Seite anzusehen, war sie zu dem Raisonnement gelangt:
    »Wenn er denn unbedingt reisen muß, so ist es weit besser, das geschieht vor der Verheiratung, als erst nach derselben.«
    Eben deshalb richtete sie auch an Godfrey die einfachen, sehr treffenden Worte:
    »Nein, Du bist augenblicklich nicht bei mir… sondern jenseits der Meere!«
    Godfrey hatte sich erhoben. Er that einige Schritte durch den Salon, ohne Phina selbst anzusehen, und unwillkürlich hatte sich sein Zeigefinger auf eine Taste des Pianos hinabgesenkt.
    Da erklang ein »Großes D«, ein kläglicher Ton, der für ihn antwortete.
    Phina verstand genug, und ohne weitschweifige Verhandlungen ging sie schon daran, ihren Verlobten sozusagen an die Wand zu drücken und ihm selbst zur Oeffnung einer Bresche zu verhelfen, damit er entfliehen konnte, wohin seine Phantasie ihn zog, als die Thür des Salons sich aufthat.
    William W. Kolderup erschien etwas geschäftig wie immer. Er war der Kaufmann, der eben eine Handelsoperation beendet und sich nun anschickt, eine neue zu beginnen.
    »Nun, handelt es sich um nichts weiter, als das Datum endgiltig festzustellen, sagte er.
    – Das Datum? fragte Godfrey den Kopf aufrichtend. Von welchem Datum sprichst Du, lieber Onkel?
    – Natürlich von dem Eurer Hochzeit, erklärte William W. Kolderup. Ihr werdet dazu doch nicht etwa das Datum der meinigen wählen wollen?
    – Das wäre vielleicht weit dringlicher, meinte Phina.
    – He… Was? rief der Onkel. Was soll das heißen?… Wir wählen den kürzesten Termin, nicht wahr?
    – Pathe Will, antwortete das junge Mädchen, heute kann es sich nicht handeln um Festsetzung des Tages für eine Hochzeit, sondern für eine Abreise.
    – Für eine Abreise?
    – Ja, der Abreise Godfreys, fuhr Miß Phina fort, Godfreys, der, ehe er heiratet, das Bedürfniß fühlt, sich ein wenig in der Welt umzusehen.
    – Du willst reisen… Du? rief William W. Kolderup, auf den jungen Mann zuspringend, dessen Arm er ergriff, als fürchte er, daß dieser Schlingel von Neffen ihm durchgehen könne.
    – Ja, Onkel Will, gestand Godfrey muthig zu.
    – Und wie lange Zeit?
    – O, anderthalb, höchstens zwei
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