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Die Schuld wird nie vergehen

Die Schuld wird nie vergehen

Titel: Die Schuld wird nie vergehen
Autoren: Phillip Margolin
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schüttelte Morellis Hand, die groß und warm war und irgendwie beruhigend, genau wie sein Lächeln. »Was stellen Sie denn aus? Ich hatte so viel zu tun, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, mich umzusehen.«
    »Ich baue Möbel nach Maß. Schauen Sie doch bei Gelegenheit mal vorbei.«
    »Das mache ich. Kommen Sie von hier? Ich habe Sie bisher noch nie auf unserer Messe gesehen.«
    »Ich bin zum ersten Mal in Oregon«, erwiderte Morelli.
    »Und wo ist Ihr Heimathafen?«
    »Ich habe eigentlich keinen. Mein Vater war beim Militär. Wir sind ständig umgezogen. Eine Weile habe ich in Arizona gelebt, aber da ist es mir zu trocken. Ich mag Wälder und den Ozean.«
    »Davon gibt es in Arizona wirklich nicht viel.«
    »Nein. Jedenfalls hörte ich von der Messe und dachte, ich könnte vielleicht ein paar Aufträge an Land ziehen.«
    »Und wie läuft's?« »Ganz gut. Ein Besucher hat gerade ein Steuerberatungsbüro aufgemacht und einen Schreibtisch, Regale und andere Kleinigkeiten in Auftrag gegeben. Das dürfte mich eine Weile beschäftigen. Jetzt muss ich nur noch einen Ort finden, wo ich wohnen und arbeiten kann.«
    Ami zögerte. Sie wusste so gut wie nichts über Morelli, aber er wirkte sympathisch. Impulsiv traf sie eine Entscheidung.
    »Ich vermiete eine kleine Wohnung über meiner Garage, und mein Atelier habe ich in einer Scheune hinter dem Haus. Für einen Schreiner ist da noch mehr als genug Platz. Es gibt sogar eine Werkbank und ein paar Werkzeuge. Bis vor kurzem hat dort ein Student gewohnt, aber er musste wegen eines Krankheitsfalles das College früher verlassen. Deshalb steht die Wohnung jetzt leer.«
    »Ich habe zwar mein eigenes Werkzeug, aber sonst hört sich das ganz gut an. Kann ich nach der Messe zu Ihnen herauskommen und mir alles ansehen?«
    »Gern.«
    »Wie hoch ist die Miete?«
    Ami sagte es ihm, und Morelli lächelte schüchtern. »Das kann ich mir leisten.« Er trat aus Amis Stand und schaute zu seinem eigenen hinüber. »Sieht aus, als hätte ich Kunden. Ich sollte wohl schnell dafür sorgen, etwas zu verkaufen, wenn ich demnächst Miete zahlen muss.«
    Ami lachte und winkte ihm zu. »Wir sehen uns gegen fünf.«
    Seit ihr letzter Mieter gekündigt hatte, war ihre finanzielle Lage recht angespannt. Ein kleines Zusatzeinkommen konnte sie gut gebrauchen. Außerdem wäre es schön, einen anderen Künstler um sich zu haben. Morelli wirkte ganz nett, und sie hoffte, dass es funktionierte.
    Ami Vergano schloss die Fliegentür so leise wie möglich und trat auf die Veranda hinaus. Von dort beobachtete sie, wie Daniel Morelli ihrem zehnjährigen Sohn beibrachte, einen Curveball richtig zu werfen. Sie spielten im Vorgarten unter einer uralten Eiche, die Ami Methusalem getauft hatte. Morelli hockte neben Ryan und korrigierte geduldig die Stellung der Finger des Jungen um die Nähte des Baseballs, der zusammen mit dem Handschuh der ganze Stolz ihres Sohnes war. Ryan runzelte vor Konzentration die Stirn, während er versuchte, den Ball richtig zu fassen. Er bemerkte nicht einmal, dass sich dieser perfekte Frühlingstag dem Ende neigte und es langsam dunkel wurde.
    Morelli trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Wenn er seinen Arm ausstreckte, spannten sich sein Bizeps und sein Unterarm wie ein Drahtseil. Für einen fast Fünfzigjährigen war Morelli in prächtiger Verfassung. Ami wusste, dass er morgens lange joggte, denn sie hatte ihn durchgeschwitzt in seine Wohnung gehen sehen, als sie zur Arbeit gefahren war. Einmal hatte sie auch einen Blick auf seinen nackten Oberkörper werfen können. Sein durchtrainierter Körper beeindruckte sie. Die langen Narben auf seinem Rücken und seinem Bauch allerdings hatten sie überrascht.
    »Genau so«, sagte Morelli, und Ryan grinste vor Freude. Ihr Sohn liebte alles, was mit Baseball zu tun hatte. Seine ganze Leidenschaft galt den Spielen der Little League. Morelli war vor drei Wochen in die Wohnung über ihrer Garage gezogen, blieb jedoch ziemlich zurückgezogen. Ryan und er hatten aber sofort Freundschaft geschlossen, nachdem ihr Sohn erfahren hatte, dass ihr neuer Untermieter früher auch Baseball gespielt hatte. Es gab keinen Mann in Amis Leben, und folglich stürzte sich Ryan auf jeden Erwachsenen, der sich für ihn interessierte. Ryan folgte ihrem Untermieter wie ein Hündchen, was Morelli offensichtlich nicht störte.
    Ryan wirkte so ernsthaft, dass Ami unwillkürlich lächeln musste. Sie wünschte sich, sie könnte diese Szene festhalten, aber ihre Pflicht als
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