Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
Liebesnacht, als sich das Leben vor Adrienne endlich aufgetan hatte, wurde sie in Bálints Armen nach und nach von einem immer stärkeren, betäubenden Rausch erfasst. Der ungestüme Lebenswille, der sie bisher getrieben hatte, gewann nun, da sie einander fanden, ein Ziel und einen Sinn. Sie gab sich vorbehaltlos hin, so nahm sie ihn in Besitz, und wenn sie zusammen einschlummerten, blieben sie mit all ihren Gliedern verschmolzen, als wären sie selbst im Schlaf vereint. Und doch schwebte in jeder Nacht bereits der schwarze Engel über ihnen. Aber die Zeit schien noch lang.
    In dieser letzten Nacht schliefen sie nicht ein. Wortlos, stumm und verzweifelt küssten sie mit beißenden Zähnen, umarmten einander mit kratzenden Nägeln und würgenden Armen, als suchten sie den Tod in der Enderschöpfung, als wollten sie töten, einander umbringen …

    Es dämmerte. Bálint, aufgerichtet, stützte sich auf die Kissen. In dieser Nacht sprach er jetzt zum ersten Mal: »Was geschieht mit dir … hernach?«
    Sie sahen sich lang in die Augen. Sehr ernst, nicht aus nächster Nähe, voneinander eher eine Armlänge entfernt. Man brauchte nicht mehr zu sagen. Addy wusste ohnehin, was die Frage bedeutete. Die Augen des Mannes sprachen klar: »Wenn du stirbst, lebe auch ich nicht weiter. Ich muss es wissen. Ich will jetzt eine aufrichtige, eine klare Antwort.«
    Als sie so in Abádys weit geöffnete Augen blickte, zogen vor ihrem Geist während einiger Minuten all die Pläne vorbei, die sie, wenn sie allein geblieben war, beinahe jeden Tag erwogen hatte. Die ursprüngliche Absicht ließ sich nicht mehr verwirklichen: nach Bálints Abreise der Aufmerksamkeit des Küstenwachboots zu entgehen und weit ins Meer hinauszuschwimmen, in die Strömung, aus der nie jemand zurückgekehrt ist: wie durch einen Zufall verschwinden. Nein! Das konnte sie nicht mehr tun, Judith war ihr zuvorgekommen, sie hatte diese Möglichkeit zunichtegemacht. Sie wäre dazu nicht mehr fähig, und es war auch nicht mehr zu machen: Man hatte die Wachen draußen auf dem Meer verdoppelt. Und die Erinnerung daran, wie Judith vor den vielen Gaffenden nackt auf dem Sand lag, erfüllte sie mit Schrecken. Nein, allein schon deswegen nicht!
    Den kleinen Revolver indessen hatte sie bei sich. Aber auch davon durfte sie keinen Gebrauch machen. Zumindest nicht jetzt. Nicht hier. Das wäre offensichtlich, Uzdy würde Nachforschungen anstellen, alles erfahren, hernach Bálint stellen und – ach, ganz gewiss! – ihn auf der Stelle töten.
    Die fragenden Augen des Mannes warteten immer noch auf Antwort.
    Adrienne gab sie langsam: »Ich will versuchen zu leben … vielleicht gelingt mir das, wenn du mich … für immer verlässt.«
    Es war beinahe schon hell.
    Adrienne saß in ihrem zerrissenen, dünnen Nachthemd noch unbeweglich am Rand des Betts. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich auf die Arme zurück. Bálint hatte sich schon angezogen. Er wandte sich der Frau zu, und dann gaben seine Knie plötzlich nach. Er sank vor ihr nieder, barg das Gesicht in ihrem Schoß und begann zu schluchzen. Es schüttelte ihn am Rücken, sein Kopf sank tiefer, und er vermochte sein Schluchzen nicht zu bemeistern. Wie ein Kind an den Knien der Mutter, so weinte er endlos. Seine Hände fassten sie, ihren Leib – nicht begehrlich, sondern mit der Verzweiflung des Ertrinkenden, der nach allem greift, was sich anbietet. Er weinte krampfhaft, rang nach Atem und brachte keuchend von Zeit zu Zeit ein einziges, kaum verständliches und doch klares Wort hervor: »Addy … Addy … Addy.«
    Adrienne streichelte sachte seinen Kopf. Sie kümmerte sich nicht um ihr zerrissenes Nachthemd, nicht um die Helle, die das Zimmer schon überflutete, nicht um ihren entblößten Busen, um ihre Nacktheit, sie empfand jetzt keinerlei Scham, nichts lebte mehr in ihr außer der Trauer, der furchtbaren, die Kehle zuschnürenden Trauer, und dem Mitleid; und sie beschwichtigte den Mann, suchte seinen Kopf emporzuheben, liebkoste ihn mit mütterlicher Hand, als wäre er ihr Sohn, und fortwährend wiederholte sie: »Nein, nicht das! Nein, mein Kleiner! Nicht das, nein, das nicht, mein Kleiner, nein!«

    Im Hotel erwachte bereits das Leben.
    Bálint torkelte hinaus; er blickte nicht zurück, am Türpfosten schlug er sich die Stirn beinahe wund.

    Adrienne erhob sich vom Bett. Langsam ging sie zum Fenster. Als ertönte Trauermusik aus der Ferne. Vielleicht erklang Sirenengesang weit weg, oder es war ihr Herz, das in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher